Kultour
Lesung
Hate Poetry

«Warum haben Sie eigentlich die ganze Zeit gelacht?», fragte der Journalist Deniz Yücel nach einer Ausgabe von «Hate Poetry», einem Poetry-Slam, an dem rassistische LeserInnenbriefe verlesen werden. Yücel ist einer der EmpfängerInnen dieser Briefe, die sich oft weniger auf seine Artikel als auf seinen türkischen Namen beziehen. Gemeinsam mit anderen JournalistInnen ohne biodeutsche Namen, die für deutsche Medien schreiben, verwertet er die Hassbotschaften in einem Wettstreit der Dummheiten.
Tatsächlich kann man sich fragen, ob Lachen bei Zuschriften wie «Diese Dreckstürkenschlampe ist ein Fall für den NSU» – also bei kaum missverständlichen Mordaufrufen – angebracht ist. Für die betroffenen JournalistInnen ist das Kabarett auf jeden Fall eine Methode, mit den rassistischen Beschimpfungen nicht allein zu bleiben und sozusagen «die Scheisse zurück in die Umlaufbahn» zu schiessen – so die Idee der JournalistInnen. Und vielleicht gibt es wirklich keinen besseren Umgang, als die Briefe ins Ironische zu ziehen – denn wo kämen wir hin, würden wir all den Hass, all den Rassismus der Kommentarspalten ernst nehmen?
«Hate Poetry» tourt dieser Tage zum ersten Mal durch die Schweiz (vgl. «Postmigrantisches Kabarett»), nach einer Erfolgsgeschichte in Deutschland: Während die erste Show vor drei Jahren in kleinerem Rahmen in der Berliner «taz»-Redaktion stattfand, füllen die «Hate Poetry»-Lesungen inzwischen Hallen im ganzen Land.
«Hate Poetry» in: Zürich Theater Neumarkt, Fr, 9. Oktober 2015, 20 Uhr; in: St. Gallen Palace, Sa, 10. Oktober 2015, 21 Uhr. www.hatepoetry.com
Rahel Locher
Ausstellung
Schmalfilm in der ganzen Breite
Flackerndes Bild und bleiche Farben, künstliche Kratzer und Staubkörner: Natürlich gibts längst eine ganze Reihe von Apps, um die sinnlichen Qualitäten von Super-8 zu simulieren. Aber das ist natürlich nicht zu vergleichen mit der multiplen Sinnlichkeit des echten, analogen Schmalfilms. Vor fünfzig Jahren kamen die ersten Super-8-Kameras auf den Markt, und zum Jubiläum gibts nun eine Ausstellung in Solothurn, die den schmalen Film in seiner ganzen Breite feiern will.
Zur Vernissage sind unter anderem die «Berner Spannerfilme» zu sehen, die der Künstler Rudolf Steiner (Haus am Gern) vor vielen Jahren zufällig in einem Brockenhaus entdeckt hat: acht Stunden Film von einem unbekannten Voyeur in Bern, der während rund fünfzehn Jahren heimlich Frauen beim Einkaufen, beim Baden oder auf dem Heimweg mit Kindern gefilmt hat. Anstössig sei nichts davon, heisst es. Eindeutig lüstern ist nur, wie der filmende Voyeur (oder die Voyeurin?) seine unfreiwilligen Protagonistinnen nach ihrem Körperbau katalogisiert hat.
Die Schau sollte also jugendfrei sein, und wer Kinder dabei hat, kann sie in einer dieser Super-8-Filmkabinen parkieren, wie sie einst in grösseren Warenhäusern anzutreffen waren. Eigens für die Ausstellung wurde eine solche nachgebaut.
«Super8! Die ganze Breite des schmalen Films» in: Solothurn Künstlerhaus S11, Schmiedengasse 11. Vernissage: 9. Oktober 2015, 19 Uhr. Bis 31. Oktober 2015. www.s11.ch
Florian Keller
Veranstaltungsreihe
Schwarze Geschäfte
«Bring the war home» skandierten VietnamkriegsgegnerInnen in den USA vor bald fünfzig Jahren. Seit nunmehr zehn Jahren verfolgt die Schweizer Stiftung Cooperaxion neben ihrer Entwicklungszusammenarbeit ein ähnliches Ziel: Sie bringt heim, was die Schweiz allzu lange ausgeblendet hat – ihre vielfältigen Verstrickungen in den transatlantischen Sklavenhandel. Auf Stadtrundgängen in Neuenburg etwa zeigt Cooperaxion, wie stark der Wohlstand der Stadt auf Kolonialismus und Sklavenhandel gründet (vgl. WOZ Nr. 38/2014 ).
Mit der Veranstaltungsreihe «Auf den Spuren schwarzer Geschäfte» in Bern will Cooperaxion nun ein breiteres Publikum zum Nachdenken über dieses dunkle Kapitel der Schweizer Geschichte bewegen. Den Auftakt macht Lukas Hartmann, der am Sonntag aus seinem Roman «Die Mohrin» liest. Eröffnet wird gleichzeitig auch die Ausstellung in der Kirchgemeinde Johannes über den transatlantischen Waren- und Sklavenhandel vom 17. bis ins 19. Jahrhundert und die darin verwickelten kolonialen Komplizen aus der Schweiz. Es folgen Vorträge mit Bildern und Filmen, Konzerte und Theateraufführungen, die sich bis in den November ziehen. Am Mittwoch, dem 14. Oktober 2015, etwa erzählt die Autorin Rea Brändle von den Völkerschauen mit Menschen aus Afrika, Asien und Amerika, die hier in der Schweiz bis ins 20. Jahrhundert wie im Zoo vorgeführt wurden.
«Auf den Spuren schwarzer Geschäfte» in: Bern Kirchgemeinde Johannes, So, 11. Oktober 2015, bis So, 8. November 2015. Vernissage: So, 11. Oktober 2015, 17 Uhr. Detaillierter Veranstaltungskalender unter www.cooperaxion.org.
Franziska Meister
Diskussion
Ukrainische Intellektuelle
Das Literaturhaus Zentralschweiz in Stans holt mit Juri Andruchowytsch («Perversion») und Serhij Zhadan («Die Erfindung des Jazz im Donbass») kriegerische Realitäten in die Innerschweiz. Die beiden ukrainischen Schriftsteller und Intellektuellen haben sich an den Protesten auf dem Maidan aktiv beteiligt. Gleichzeitig meldeten sie sich immer wieder pointiert und unerschrocken zu Wort und versuchten, die Situation in der Ukraine auch für «den Westen» begreifbar zu machen, den Alltag genauso wie das Leben im gewalttätigen Ausnahmezustand. In einem Artikel für die FAZ beklagte Andruchowytsch Ende 2014 eindringlich die Taubheit Europas gegenüber den Aufständischen, die in der Ukraine ihr Leben aufs Spiel setzen: «Vor kurzem habe ich Fernsehbilder aus Spanien gesehen, wo die Bauern, erbost über die Handelssanktionen der EU gegen Russland, derentwegen sie Probleme hatten, ihre Produkte zu verkaufen – vielleicht Orangen –, als Zeichen des Protests die EU-Fahne verbrannten. In genau solche Fahnen hüllten unsere Menschen auf dem Maidan die Ermordeten, bevor sie die Leichen in den Sarg legten.»
Juri Andruchowytsch und Serhij Zhadan in: Stans Literaturhaus Zentralschweiz, Mo, 12. Oktober 2015, 19.45 Uhr, Moderation: Ilma Rakusa. www.lit-z.ch. Weitere Auftritte in: Basel Philosophicum im Ackermannshof, So, 11. Oktober 2015, 17 Uhr, und in: Lenzburg Aargauer Literaturhaus, Di, 13. Oktober 2015, 19.15 Uhr.
Daniela Janser
Konzert
Nächte durchtanzen

Es fing mit einem kaputten Autoradio an: Auf der Fahrt an ein Open Air im Jahr 2006 blieb Jakob nichts anderes übrig, als eine CD mit selbst gemachten Beats abzuspielen – und siehe da, seine beiden Mitfahrer Johannes und Martin begannen zu rappen. Daraus entstand die Band Frittenbude, die sich seither mit ihrer eigenen Mischung aus Elektro, Punk und Hip-Hop einen Namen gemacht hat.
Die politischen Textpassagen der Band, die der Antifa nahe steht, sind dabei nicht plakativ, sondern kommen subtil und ironisch daher: «Wir sind nicht immer dagegen / aber auch selten dafür / was helfen uns Worte und Reden / man muss das Leben schon spür’n / wir wollen mehr, als euch lieb ist / und geben mehr, als wir können / wir sind erst wirklich zufrieden / wenn wir durchbrechen.» Alles treibt vorwärts in «Möglichkeit eines Lamas», die Musik, der gerappte Text. Die Präzision in der Sprache und der Musik wird gebrochen durch den Inhalt. Denn da ist vieles ambivalent, nachdenklich. Es bleibt unklar, wo man ankommt und ob überhaupt. Aber wenn es sein muss, setzen Frittenbude auch klare Zeichen. So haben sie schon ein Konzert abgesagt, weil das Reggaefestival, an dem sie auftreten sollten, auch dem jamaikanischen Sänger Capleton, dessen Texte homophobe Passagen enthalten, eine Bühne bot.
Frittenbude bleiben ihrer Kombination von Ironie und Ernsthaftigkeit, von Partymucke und Tiefgang auch auf dem vierten Album, «Küken des Orions» (2015), treu, mit dem sie zurzeit touren. Die Konzerte von Frittenbude verheissen durchtanzte Nächte, wie im Lied «Endlich, unendlich»: nämlich «zappeln, tanzen, nie wieder schlafen».
Frittenbude in: Bern Dachstock Reitschule, Do, 8. Oktober 2015, 19.30 Uhr; in: Zürich Dynamo, Fr, 9. Oktober 2015, 19 Uhr.
Rahel Locher