Diesseits von Gut und Böse: Grausamer Glamour

Nr. 6 –

Ich bin dem Boulevard ja durchaus zugetan. Doch bei manchen Leseerlebnissen jagt es selbst mir den Nuggi raus. Wenn zum Beispiel eine Tamedia-Lifestyle-Journalistin unter «Mode & Design» drei Spalten lang vor sich hin träumt: «Mit Frau Trump käme neuer Glamour ins Weisse Haus.» Ich fürchte nämlich, sie meint es ernst. Und fände es auch noch gut.

Egal wie wahnsinnig der Gatte sein mag, Hauptsache, die First Lady macht was her: «Sie bricht das ultimative politische Tabu: Melania Trump zeigt ihr Décolleté. Damit wäre sie die erste sexy First Lady.» Ganz davon abgesehen, dass auch Sexyness im Auge der Betrachterin liegt, passt die Einschätzung, ein entblösstes Décolleté sei schon ein politisches Statement, eher in den US-amerikanischen Bible Belt als in eine mitteleuropäische Moderedaktion im 21. Jahrhundert.

Das ist die Krux dieser Branche: Alles ist egal, und Inhalte stören nur. Wie TV-Serien-Präsidentengattin Claire Underwood sei auch «Trump eine Meisterin des eiskalten Glamours»: Endlich, endlich würde das Weisse Haus auch real zum «House of Cards».

Zurzeit vermeidet sogar der Boulevard, Schönheit und Geschmackssicherheit der syrischen First Lady zu rühmen. Doch ich bin sicher: Wenn deren Gatte erst mal wieder an Verhandlungstische geladen wird, erscheinen auch wieder Homestorys über Asma al-Assad.