Im Affekt: Vergoldete Schweisstropfen

Nr. 32 –

Wer früh aufsteht und kurz nach sechs in Zürich in den Zug steigt, ist um acht bereits in Airolo. Nochmals eine Postauto- und Seilbahnfahrt später kann man von einem wunderlich kreisrunden, grünblauen Bergsee loslaufen, wo die Tauperlen an den Gräsern funkeln, als wollten sie sich beim Glitzersteinchenhersteller Swarovski bewerben. Nach einer guten Wanderstunde blinzelt man schon auf der ersten Hüttenterrasse in die Sonne und freut sich wie ein Kind, weil man die perfekt zweisprachige Hüttenfrau zwei Sätze lang mit dem eilig hervorgekramten Restaurantitalienisch so weit täuschen konnte, dass sie auf Italienisch antwortet.

Immer höher hinauf steigt man, an bekannten und namenlosen Seelein vorbei, über schroffe Passhöhen und immer mit einer famosen Aussicht vor der Nase, die einem jeden Schweisstropfen vergoldet. Inzwischen sind auch die Murmeltiere aufgewacht und gleiten wie kleine fette Pelzflundern über die grünen Auen. Ein paar einfache Alphüttchen stehen derart malerisch in der Landschaft, man könnte meinen, eine Kitschposterproduzentin oder der Tourismuschef persönlich hätten sie da hingepflanzt.

In der letzten SAC-Hütte vor dem grossen Abstieg wird auf immerhin 2140 Metern über Meer für wenig Geld ein ausgezeichneter Espresso serviert und dazu ein frisch gebackenes Stück Kuchen mit Schlagrahm. Sind wir unversehens im Paradies gelandet? Nicht ganz. Aber wer den Gotthard nur als lästiges Loch auf dem Weg in den Süden kennt, der oder die verpasst definitiv etwas. Und wenn es auch abgedroschen klingen mag, muss man es trotzdem wieder einmal mit Nachdruck sagen: Es lohnt sich manchmal, dort auszusteigen, wo man normalerweise nur durchfährt. In Zukunft wird man die von Felsnarben durchzogenen grünen Berghänge der Leventina mit ganz anderen und sehr begehrlichen Blicken anstaunen.

Zum Nachwandern: Lago Tremorgio, Capanna Leìt, Passo Lei di Cima, Capanna Campo Tencia, Dalpe.