Im Affekt: Ein kleiner Beatles-Frankenstein
Mir wird warm ums Herz. Endlich ists so weit: Ein Computerprogramm hat, angeblich zum ersten Mal, einen Popsong geschrieben: «Daddy’s Car». Berührend ist nicht so sehr dieser Song, sondern die wundervolle Tatsache, dass Maschinen erste kreative Gehversuche unternehmen. Richtet sich ein Baby an einem Tischbein auf und tut die ersten Schritte, entzückt uns ja auch nicht die eigentliche Schönheit der Bewegungen, wie bei Usain Bolt, sondern – wie heissts? – das «Wunder der Natur».
Um besser zu werden, muss man von den Besten lernen – so würde es jedes menschliche Genie raten. Genau das haben die ForscherInnen von Sony dem Programm «Flow Machines» beigebracht. Für «Daddy’s Car» hat dieses die Songs der Beatles analysiert und daraus einen neuen gebastelt. Tatsächlich klingt «Daddy’s Car» noch wie ein kleiner Beatles-Frankenstein: Teilweise hört man deutlich, wo seine Bestandteile entfernt wurden. Auf jeden Fall freuen wir uns alle auf ein ganzes Album voller Computersongs, das Sony 2017 veröffentlichen will.
Nun, nicht ganz alle. Ein Ausgehmagazin aus Las Vegas hat dazu vor zwei Jahren ein Experiment gemacht und einen Artikel veröffentlicht, demzufolge in einem Club in Austin, Texas, nun ein Roboter als DJ «angestellt» worden sei. Die Reaktion von einigen, die den Witz nicht verstanden hatten: «Die herzlosen Maschinen zerstören unsere Partykultur.» Ähnlich haben die Leute auch reagiert, als der erste Synthesizer einen Bläsersatz ersetzte. Und heute taucht uns dieser Klang in nostalgische Wärme.
Ein bisschen menschliche Hilfe hat es bei «Daddy’s Car» doch noch gebraucht. Der französische Komponist Benoît Carré hat den Song produziert, arrangiert und die Lyrics dazu geschrieben. Einen kleinen posthumanistischen Seitenhieb konnte er sich dabei nicht verkneifen. Der Song spielt auf den Beatles-Hit «Drive My Car» an, der sich eines alten Blueseuphemismus für Sex bedient. Wird hier ein devot-erotisches Verhältnis zur Maschine besungen? Auf jeden Fall scheint er zu raten: Mensch, gib mal das Steuer ab.
Hier zeigt sich wieder: Pop hats in sich. Bach-Choräle und das Klavierspiel von Bill Evans beherrschen Computer nämlich schon lange.