US-amerikanische Aussenpolitik: Mit Thinktanks in den lukrativen Krieg

Nr. 44 –

Mit einer neuen US-Präsidentin will das Politestablishment Washingtons wieder in den Krieg ziehen. Höchste Zeit für eine neue Friedensbewegung, meint Dennis Kucinich, früher ein Politiker der Demokratischen Partei.

Nirgendwo sonst wie in Washington protzen so viele Menschen mit ihrer Pseudointellektualität, indem sie sich in «Thinktanks» zusammenrotten, Gelder von verschiedensten Interessengruppen (einschliesslich ausländischer Regierungen) sammeln und Berichte verfassen, die den Bedürfnissen der US-amerikanischen Bevölkerung komplett zuwiderlaufen.

Als ehemaliges Mitglied des Repräsentantenhauses habe ich sechzehn Jahre lang erlebt, wie sogenannte ExpertInnen bei parlamentarischen Anhörungen auftauchten und auf der Grundlage ihrer wirren, oberflächlichen, realitäts- und wahrheitsfernen Argumente für Kriege plädierten. Ich erinnere mich aber auch an andere Anhörungen: Einmal war die Militärführung nicht in der Lage, den Verwendungszweck von über einer Billion Dollar in ihren Konten zu erklären. Ein andermal verlor das Pentagon jegliche Spur von zwölf Milliarden Dollar an Bargeld, das es in den Irak gesandt hatte.

Nur der Krieg bringt Geld

In Washington ist der Krieg in erster Linie ein gewinnbringender Schwindel. Wie sonst könnte man erklären, dass die sogenannte überparteiliche Aussenpolitikelite in den vergangenen fünfzehn Jahren Kriege im Irak und in Libyen sowie Interventionen in Syrien und im Jemen förderte, obwohl damit die letzte Vertrauenswürdigkeit der USA verspielt wurde – während im Hintergrund ein Geldregen auf die militärischen Auftragnehmer niederprasselte? Washingtons «Tanks» tragen zu Recht den Namen von gepanzerten Kriegsfahrzeugen.

Laut der «Washington Post» empfiehlt nun diese aussenpolitische Elite der nächsten US-Präsidentin, weniger Zurückhaltung walten zu lassen als Barack Obama. Diese «liberalen Falken» drängten schon den noch amtierenden Präsidenten zu einer «humanitären Intervention», sprich zu einem Krieg, als die USA mit Nato-Alliierten 2011 in Libyen eingriffen.

Acht Jahre zuvor stützten die Thinktanks die Irakinvasion. Als das Kriegsgeheul laut wurde, machte ich meine eigene Analyse, basierend auf leicht zugänglichen Informationen, und kam zum klaren Schluss, dass es keine Rechtfertigung für einen Krieg gab. Ich verbreitete meine Einschätzung im Kongress und führte 125 DemokratInnen an, die gegen die Irakkriegsresolution stimmten. Doch für die Schlussfolgerung, dass ein Krieg unangebracht ist, gibt es kein Geld, und so schritt die Regierung voran in den Abgrund, gegen den Willen von Millionen Menschen, die in den USA und weltweit protestierten. Generäle winkten auf ihren Sesseln mit Kampfwimpeln, und die ExpertInnen der Thinktanks lernten bis heute absolut nichts, weder aus den Erfahrungen im Irak noch aus denjenigen in Libyen.

Die einzigen Gewinner waren Waffenhändler, Ölfirmen und Dschihadisten. Unmittelbar nach dem Fall Libyens wehte die schwarze Fahne von al-Kaida auf einem städtischen Gebäude in Benghasi, Machthaber Muammar al-Gaddafis Ermordung sollte bald folgen, und Aussenministerin Hillary Clinton sagte mit einem Lachen: «Wir kamen, wir sahen, er starb.» Präsident Obama hat möglicherweise aus diesem Missgeschick gelernt, nicht aber das Politikestablishment Washingtons, das sich offensichtlich nach noch mehr Krieg sehnt.

Das sich liberal nennende Center for American Progress fordert nun die Bombardierung Syriens. Gemäss einer Recherche von «The Nation» hat dieser Thinktank Zuwendungen durch die militärischen Auftragnehmer Lockheed Martin und Boeing bekommen. Sie produzieren die Kampfflugzeuge, die die Empfehlungen des Center for American Progress in die Tat umsetzen würden.

Die gemäss Eigenbeschreibung «unabhängige» Brookings Institution hat zig Millionen Dollar von ausländischen Regierungen erhalten, insbesondere von Katar, einem wichtigen Akteur im Syrienkrieg. John Allen, ein früherer Viersternegeneral der US-Marine, ist nun Senior Fellow bei Brookings. Charles Lister ist ein hochrangiger Mitarbeiter des Middle East Institute, das Mittel von Saudi-Arabien entgegennimmt – von der Grossmacht also, die durch ihre milliardenschwere Waffenhilfe das syrische Regime stürzen und am liebsten ein sunnitisches Kalifat installieren würde, das sich über den Irak und Syrien erstreckt.

Allen und Lister forderten in einem gemeinsamen Gastkommentar in der «Washington Post» einen Angriff auf Syrien. Ausländisches und militärisches Geld treibt unsere Aussenpolitik an. Die Brookings Institution gab gegenüber dem Kongress zu, dass sie 250 000 Dollar vom militärischen Zentralkommando der Vereinigten Staaten erhalten hat, wo General Allen zuvor gemeinsame Führungsaufgaben mit General David Petraeus ausgeübt hatte. Geld aus dem Pentagon für Thinktanks, die Kriege befürworten? Das ist akademische Integrität, Washington-Style.

Wenig überraschend fordert etwa auch die frühere demokratische Aussenministerin Madeleine Albright «mehr amerikanische Aktion»; konkreter wurde ein ehemaliger Chefberater eines republikanischen Präsidenten, der einen Angriff mit Marschflugkörpern auf Syrien starten will.

Die US-amerikanische Bevölkerung hat längst genug vom Krieg. Aber es gibt derzeit eine konzertierte Bemühung, um unser Land mittels Angstmacherei, Propaganda und Lügen auf eine gefährliche Konfrontation vorzubereiten: auf einen Krieg in Syrien als Gegner Russlands. Die Dämonisierung Russlands dient der Wiederbelebung Kalter Krieger, die versuchen, aus dem Mülleimer der Geschichte zu klettern, indem sie das Gespenst einer russischen Weltherrschaft heraufbeschwören.

Schlafwandler mit Presseausweisen

Jetzt, da die diesjährige Präsidentschaftswahl auf ihr Ende zugeht, kommen Washingtons IdeologInnen auf den gleichen überparteilichen Konsens zurück, der die USA seit den Anschlägen vom 11. September 2001 immer wieder in neue Kriege geführt hat und der die Welt zu einem deutlich gefährlicheren Ort gemacht hat.

Das Politestablishment lässt sich dabei von Washingtons Thinktanks decken. Diese bieten ein politisches Sicherheitsnetz, einen fiktiven analytischen Rahmen, eine moralische Begründung für die Intervention. Ich habe diese aussenpolitische Elite satt, deren Angehörige sich mit Krieg eine goldene Nase verdienen und sich gleichzeitig als ExpertInnen aufspielen. All dies auf Kosten des Lebens anderer Menschen, unseres nationalen Vermögens und der heiligen Ehre unseres Landes.

Jeder Bericht, der von irgendeinem vermeintlichen Thinktank kommt und einen Krieg befürwortet, sollte von einer Liste der Sponsoren und Spenderinnen dieser Institution sowie der Lobbyverbindungen der AutorInnen begleitet sein. Es ist unsere patriotische Pflicht, zu entlarven, warum das aussenpolitische Establishment und seine Sponsoren nicht aus ihren Fehlschlägen gelernt haben, sondern ihre Fehler – mit der Zustimmung der Politikerinnen und der Schlafwandler mit Presseausweisen – dauernd wiederholen.

Es ist auch Zeit für eine neue Friedensbewegung in Amerika, die Progressive und Libertäre gleichermassen einschliesst, sowohl innerhalb als auch ausserhalb des Kongresses. Sie müsste sich in Hochschulen, in Klein- und Grossstädten überall in den USA organisieren, um als wirksames Gegengewicht zur «demorepublikanischen Kriegspartei», zu ihren Thinktanks und den medialen Cheerleadern aufzutreten.

Die Arbeit beginnt jetzt, nicht nach dem Amtsantritt der neuen Präsidentin. Wir dürfen den Krieg nicht als etwas Unvermeidliches akzeptieren. Und die PolitikerInnen, die uns in diese Richtung führen wollen, seien sie im Kongress oder im Weissen Haus, müssen dringend eine starke Opposition sehen.

Der Artikel erschien im Original im linken US-Magazin «The Nation».

Aus dem Englischen von Markus Spörndli.

Dennis Kucinich

Von 1997 bis 2013 sass Dennis Kucinich (70) für die Demokratische Partei im Repräsentantenhaus, der grossen Kammer des US-Kongresses. Bekannt wurde er vor allem durch seinen vehementen Widerstand gegen die US-Interventionen im Irak und in Libyen. 2004 und 2008 scheiterte er in den demokratischen Primaries für die Präsidentschaftswahlen.

Ende der siebziger Jahre war Kucinich Bürgermeister von Cleveland, der zweitgrössten Stadt im Bundesstaat Ohio.

Hillary Clintons Aussenpolitik : «Erweiterung amerikanischer Macht»

Wie wird die Aussenpolitik von Hillary Clinton aussehen, falls sie am 8. November tatsächlich zur US-Präsidentin gewählt wird? Dazu kann man – neben ihrer «Erfolgsbilanz» als erste Aussenministerin unter Präsident Barack Obama – einen im Mai erschienenen Bericht des Center for a New American Security (CNAS) konsultieren. Dieser Thinktank steht den von Clinton angeführten «liberalen Falken» der Demokratischen Partei äusserst nahe. Die CNAS-Chefin Michèle Flournoy, die den Bericht mitverfasst hat, gilt als wahrscheinlichste Verteidigungsministerin einer Clinton-Regierung.

Das Papier trägt den Titel «Erweiterung amerikanischer Macht» und vertritt eine klare Politik des militärischen Interventionismus. Es entspricht damit der Linie, die Clinton in ihrer früheren Karriere vertrat (vgl. Haupttext weiter oben) und die sie nun im Wahlkampf propagiert. Aus den Misserfolgen der Interventionen im Irak und in Libyen zieht der Bericht die Lehre, in Zukunft nicht weniger, sondern noch mehr militärisch einzugreifen. Dazu müsse die Überlegenheit der US-Streitkräfte deutlich ausgebaut werden. Neben den USA sollen dazu auch die Verbündeten ihre Verteidigungsbudgets erhöhen.

Das heisst auch, dass Clinton die traditionellen US-Allianzen wieder uneingeschränkt pflegen würde – im Nahen Osten etwa mit Saudi-Arabien, was besonders auf Kosten der Annäherungspolitik gegenüber dem Iran gehen dürfte. In Syrien fordert Clinton schon länger eine Flugverbotszone, was wohl mit der Zerstörung syrischer Luftwaffenbasen durch Marschflugkörper verbunden wäre – und damit eine direkte militärische Konfrontation zwischen den Atommächten USA und Russland wahrscheinlicher machen würde.

Markus Spörndli