RebellInnenrätsel: Die störrische Uhrmachertochter

Nr. 13 –

Eigentlich hätte sie frei von Geldsorgen leben können, ihre Mutter galt als reichste Frau der Schweiz. Doch die 1874 geborene Halbwaise rebellierte früh: Sie hasste die «schreckliche Melancholie des Wohlstands», zog der feinen Gesellschaft die Beobachtung von Schnecken und Fröschen vor, glaubte nicht an einen Gott und zeigte, 24-jährig, Verständnis für den Mörder der österreichischen Kaiserin Sisi. Mehr als das sinnentleerte Höhere-Töchter-Leben verabscheute sie nämlich die Ungerechtigkeit, die diese Gesellschaft aufrechterhielt. Von ihrer Mutter musste sie sich keine Unterstützung erhoffen.

So konsequent wie stur liess sie sich in einem von Fürsorgerinnen betreuten Londoner Slum zur Sozialarbeiterin ausbilden und kehrte 1903 mit konkreten Vorstellungen professioneller Wohlfahrtspflege in die Schweiz zurück. Eine Zeit lang arbeitete sie bei der Zürcher Armenpflege (wo sie der respektlose Umgang mit den Bedürftigen empörte), gründete dann einen Blindenverein und Tuberkuloseberatungsstellen, etablierte Fürsorgekurse für Bürgertöchter und bewegte den Stadtrat, in den Arbeiterquartieren Spielplätze einzurichten.

Im Grunde aber hoffte die engagierte Sozialistin – inzwischen Mutter zweier Kinder und (noch) verheiratet – auf eine grundlegende Umwälzung der sozialen Verhältnisse. Deshalb war sie begeistert, als in Russland die Revolution ausbrach, und natürlich auch mit dabei, als es galt, in der Schweiz eine kommunistische Partei zu gründen. Ab 1922 leitete sie deren Frauenabteilung, wurde Delegierte im Exekutivkomitee der Komintern, organisierte, hielt Vorträge.

Durch den Tod der Mutter mit einer üppigen Erbschaft versorgt, zog sie mit 54 Jahren ins brodelnde Berlin, wo sie Projekte der Internationalen Roten Hilfe finanzierte und einen erfolgreichen Versandhandel betrieb (unter anderem mit Schallplatten von Hanns Eisler und Ernst Busch). Doch die Nazis bereiteten Reichtum und Agitation ein Ende. Ihr Vermögen wurde einkassiert; sie entkam, per Haftbefehl gesucht, ins Tessin. Nach dem Krieg wohnte sie verarmt und vergessen im Café Boy im Zürcher Sihlfeld. Bis Staatspräsident Wilhelm Pieck seine alte Kampfgefährtin in die DDR holte.

Wer war die mit 96 Jahren in Ostberlin verstorbene Kommunistin, die so gern neben ihrem Vater auf dem Schaffhauser Waldfriedhof begraben worden wäre?

Wir fragten nach der Schweizer Sozialaktivistin und Parteifunktionärin Mentona Moser (1874–1971). Ihre Mutter Fanny Moser, geborene von Sulzer-Wart, ging als «Emmy von N.» in die Geschichte der Psychoanalyse ein. Mentonas Vater war der Schweizer Uhrenfabrikant Heinrich Moser, der kurz nach ihrer Geburt starb. Mit dem Aufbau von Fürsorgekursen für Frauen legte sie 1908 den Grundstein für die heutige Hochschule für Soziale Arbeit in Zürich. Ihr Grab befindet sich auf dem sogenannten Sozialistenfriedhof in Berlin-Friedrichsfelde. Buchtipp: Mentona Moser, «Ich habe gelebt» (Limmat Verlag, 1986).