RebellInnenrätsel: Die abenteuerhungrige Wüstenwanderin

Nr. 21 –

Die französischen Kolonialbeamten hielten sie für eine englische Spionin. Und in den Pariser Salons munkelte man, sie sei die Tochter des Kultliteraten Arthur Rimbaud. Anlass zu Spekulationen bot die einsame Wüstenwanderin genug, denn nicht alles, was sie über sich preisgab, entsprach der Wahrheit. Gesichert ist, dass sie 1877 als jüngstes von fünf Kindern in Meyrin bei Genf zu Welt kam. Ihr Vater war vermutlich der ehemalige armenische Geistliche und Hauslehrer Alexander Trofimowski, ein überzeugter Anarchist, mit dem die Mutter – Gattin eines russischen Generals – vom Zarenhof in die Schweiz geflohen war.

Der hochgebildete, aber jähzornige Vater unterrichtete die Kinder selbst, wozu nach tolstoischem Vorbild auch tägliche Arbeit im Garten ihrer Villa gehörte. Abgeschottet von der Aussenwelt, empfand das sprachbegabte Mädchen das Leben als düster und trostlos. Einzige Abwechslung boten die russischen AnarchistInnen, die RevolutionärInnen aus Polen und dem Osmanischen Reich, die hier gelegentlich Unterschlupf fanden.

Mit zwanzig verliess sie das Elternhaus, in sich den unbändigen Wunsch nach einem freien Leben und die Sehnsucht, irgendwo anzukommen. Sie reiste nach Algerien und fand dort, von Menschen und Landschaft fasziniert, zumindest im Islam eine Heimat. Als arabischer Mann verkleidet, durchstreifte sie von nun an die «Sandmeere» der Sahara, lebte unter BeduinInnen, zog durch Teehäuser und Bordelle, liebte, wen sie wollte. Und schrieb, angewidert vom «unausstehlichen Verhalten der Europäer gegenüber den Arabern», voller Empathie Artikel und Erzählungen über die im kolonialen Wettlauf um Afrika bedrängten WüstenbewohnerInnen.

Das machte die ohnehin alle Konventionen missachtende junge Frau bei den französischen SiedlerInnen suspekt: Als die von uns Gesuchte 1901 nur knapp einem Mordanschlag entkam, warf die algerische Kolonialbehörde die exzentrische Person kurzerhand aus dem Land. Worauf sie durch Heirat einen französischen Pass erwarb und zurückkehrte. 1904 fand ihr Nomadenleben ein Ende. Von Drogen und Krankheiten bereits schwer gezeichnet, ertrank sie während eines Unwetters in einem Wadi.

Wer war die rastlose Schriftstellerin, die in den 1970er Jahren von der Frauenbewegung wiederentdeckt werden konnte, weil ein Grossteil ihrer Manuskripte und Tagebücher die tödliche Flut überstanden hatte?

Wir fragten nach der französischen Schriftstellerin und Journalistin Isabelle Ehnni, geb. Eberhardt (1877–1904). Sie schrieb unter anderem für die algerische Zeitung «L’Akhbar». Ihre Mutter war Nathalie de Moërder, geb. Eberhardt. «Sandmeere» lautet der Titel ihrer posthum erschienenen vierbändigen Gesamtausgabe (Zweitausendeins, Frankfurt a. M. 1981). Lesenswert: «Isabelle Eberhardt. Eine Biographie mit Briefen, Tagebuchblättern und Prosa» von Eglal Errera (Lenos Verlag, Basel 1992).