Basel-Landschaft: Ein Stadtrandmärchen von jungen Erwachsenen

Nr. 22 –

In ein paar Stunden genug Unterschriften für eine Initiative zusammenbringen? Adil Koller und seine GenossInnen von der SP Baselland zeigten vor zwei Wochen mit ihrer Prämieninitiative, wie das geht. Und wie eine positive «Jusofizierung» der SP verlaufen könnte.

«Kurz vor dem Abpfiff hört man doch nicht auf»: Adil Koller beim Stimmensammeln am Bahnhof Liestal.

Zehn Minuten von Liestal nach Basel. Auf die Frage, weshalb sie das HelferInnenfest im Stadtkanton veranstalten würden, grinste der letzte verbliebene Sammler der Baselbieter SP nur. In der «Markthalle», sonst ein Hotspot für Sonntagsbrunchs, feierten an diesem Montagabend Mitte Mai rund vierzig Baselbieter SozialdemokratInnen im urbanen Exil. Und mittendrin ihr überdrehtes Zentrum: Adil Koller, 23, Präsident und Landrat der Baselbieter SP.

Zu feiern gibt es einen Coup: Die SP BL hat ihre Prämieninitiative in sieben Tagen zustande gebracht. Die benötigten 1500 Unterschriften waren schnell beisammen. 5463 Menschen sind es am Ende, die der Initiative ihre Unterschrift gaben. Diese fordert, dass die Krankenkasse nicht mehr als zehn Prozent der Haushaltseinkommen schlucken darf. Momentan zahlen die BaselbieterInnen durchschnittlich fünfzehn, manche gar bis zu zwanzig Prozent. Das ist deutlich mehr als im landesweiten Schnitt.

Raus aus der rot-grünen Komfortzone

In Baselland gibt es keine maximale Sammelfrist, also hört man mit dem Sammeln gemeinhin nicht frühzeitig auf. Anders bei der Prämieninitiative, für die allein am Samstag 3200 Leute unterschrieben haben: «Wie beim FCB: Wenn man kurz vor Abpfiff mit 3 : 0 führt, spielt man den Match trotzdem fertig», sagt ein Sammler. Am Montag wollte Koller dann aber doch einen Schlusspfiff – mit dem Gedanken, dass sich die Dringlichkeit des Anliegens lange vor der Abstimmung manifestieren kann. Die Sammelphase wurde so zum noch intensiveren Gemeinschaftserlebnis für die rund 200 Mitglieder, die dafür auf der Strasse waren.

«Wie ne Märli!», schwärmt Koller. Und das nur zwei Jahre nachdem die SP Baselland erstmals nach neunzig Jahren ihre Regierungsvertretung verloren hatte. Koller nutzte die (Un-)Gunst der Stunde und war nach diesem Fiasko offen dafür, Verantwortung zu übernehmen. Seit einem Jahr ist er Kopräsident einer Partei, deren Kurs er «aktivistisch» nennt.

Dabei versteht er es, seine Emotionen und seinen Erzähldrang zu nutzen. Auf grösserer Bühne bewies er das erstmals 2009 an der Eidgenössischen Jugendsession, als er bei einem Redewettbewerb die Abwahlrede von Ruth Metzler neu interpretierte. Politologin Regula Stämpfli fand das zynisch und gab die Tiefstnote; der Rest der Jury die höchste.

Kollers Erzähltalent kam auch in seiner Kolumne in der «Basler Zeitung» zum Ausdruck, die er bis vor kurzem als linkes Feigenblatt auf Markus Somms Terrain schreiben durfte. Für Koller war das eine Möglichkeit, ausserhalb der rot-grünen Komfortzone ein sympathisches Bild von sich zu zeichnen. So erzählte er von seinem Vater, der zwar nicht sein leiblicher gewesen sei, für ihn aber diese Rolle ausgefüllt habe. Ein «Goalie» wie in Pedro Lenz’ «Der Goalie bin ig» sei er gewesen, mit der «rauen Sprache der Hilfsarbeiter und Bahnpöstlerinnen». Das habe sich auf Adil, das Arbeiterkind mit dem appenzellisch-pakistanischen Namen aus der Genossenschaftswohnung, ausgewirkt. Direkt, aber herzlich ist er auch in der «Markthalle», ohne dabei taktisch Relevantes zu vergessen: Der Präsident schliesst mit der Bitte, die Unterschriftenzahl noch nicht in den sozialen Medien zu posten, sonst kämen die JournalistInnen nicht zur Einreichung der Initiative.

Sollte an der unlängst in der «Rundschau» lancierten These, nach der die SP Schweiz jungsozialistisch unterwandert werde, etwas dran sein: Das Baselbiet wäre die Avantgarde-Region. Auch die Vizepräsidentin Samira Marti ist erst 23. Neben Koller sitzt mit Jan Kirchmayr ein weiterer 23-Jähriger für die SP im Landrat. Aber die Baselbieter Realität unterscheidet sich von der vom «sozialliberalen» Flügel beklagten «Jusofizierung» darin, dass hier die jugendliche Energie willkommen ist. «Viele in der SP haben nur darauf gewartet, dass ihnen jemand sagt: ‹Tun wir was!›», erzählt Jonas Eggmann (22), Geschäftsleitungsmitglied der Juso Schweiz und Kopräsident der SP Muttenz.

Inmitten bierseliger Jusos ist an diesem Abend in der «Markthalle» auch ein älterer Herr zu sehen: Altregierungsrat Peter Schmid. «Ich bin immer wieder begeistert, mit welchem Interesse unsere Jusos den Älteren begegnen», sagt er.

So also funktioniert sie, zumindest im Baselland, die viel beschworene «Jusofizierung»: Die jungen PolitikerInnen in der SP bringen die Energie und den Gemeinsinn der Juso Schweiz in ihren Kanton – und sorgen dafür, dass ihre SP zu den sozialdemokratischen Grundsätzen steht.

Zurück vom nahen Exil

Um halb elf ist Schluss in der «Markthalle». In einer Bar in Bahnhofsnähe gibt es noch ein Bier, aber um halb zwölf ist auch im Stadtkanton Feierabend. Egal. Für einen Kater fehlt eh die Zeit: In neun Stunden werden die Unterschriften eingereicht. «Wir haben ja diskutiert, ob wir nicht im eigenen Kanton feiern sollten, aber der Basler Bahnhof ist wirklich für alle am nächsten», beteuert eine Genossin. Danach fährt auch Koller nach Hause – in seine WG nach Münchenstein, zehn Minuten Tramfahrt.

Am nächsten Morgen sitzt der engste Juso-Kern schon wieder gemütlich-gesellig in einem Café – Koller schwänzt die Makroökonomievorlesung an der Uni Basel. Man freut sich an den ersten Tweets von Regionalmedien und imitiert Passagen aus dem «Rundschau»-Beitrag über die «Jusofizierung». Auch Koller gibt jetzt die Erschöpfung zu. Druckabfall. Na ja, nicht so richtig: Den Juso-KopräsidentInnen Ronja Jansen und Nils Jocher steht noch eine Mitgliederversammlung bevor; Eggmann muss einen Workshop für die 99-Prozent-Initiative der Juso Schweiz vorbereiten; und Koller spricht abends bei Tele Basel. Er mache, was er mache, solange man ihn brauche, sagt er. Andere Leute sollen auch gestalten dürfen. Die nächste Generation, die der jetzt 21-Jährigen, steht bereit.