Im Affekt: Bildstrecken für Breivik
Klick, da sind sie ja schon, die Bilder: der Attentäter von Manchester auf der Frontseite der Boulevardzeitung «The Sun», ein Foto von ihm aus der «New York Post». Die Woche darauf folgen die Polizeifotos von zwei der drei toten Attentäter von London, allesamt mit vollem Namen. Wo wir das alles gesehen haben? Nicht bei der «Sun» und auch nicht bei der «New York Post», sondern ganz gewöhnlich im Nachrichtenticker von «Tagesanzeiger/Newsnet».
Moment, da war doch was. Genau, die Schlagzeile ist relativ frisch, es gab damals viel Lob dafür: «Den Tätern keine Bühne geben». Vor einem Jahr wars, am 30. Juli, als Chefredaktor Arthur Rutishauser erklärte, warum «Tages-Anzeiger» und «SonntagsZeitung» aus medienethischen Gründen «ab sofort» keine Bilder mehr von Attentätern und Amokläuferinnen zeigen werden. Er verwies auf die «spezielle Verantwortung» der Medien und berief sich auf psychologische Studien über Nachahmungseffekte bei Amokläufen und Terrorakten: «Wir haben uns deshalb entschieden, der Problematik in Zukunft stärker Rechnung zu tragen und keine Bilder von Attentätern mehr zu publizieren, sowohl in der gedruckten Zeitung wie auch online.» Zudem werde man die Namen der Täter abkürzen, wobei: «Wir sind uns bewusst, dass unser Einfluss hier sehr begrenzt ist.»
So begrenzt offenbar, dass sich die Ansage nicht mal im eigenen Haus umsetzen lässt: Die Maxime ist in jeder Hinsicht Makulatur. Als im Januar der Berufungsprozess gegen Anders Breivik startete, gabs da ein Bild bei Newsnet? Nein, es gab eine Bildstrecke: viermal Breivik im Gerichtssaal. Alles getreu der PR-Weisheit: Tue Gutes und rede darüber – und wenn du das Gute nicht mehr tust, redest du besser nicht darüber und hoffst, dass es niemand merkt.
Wie mans sich noch einfacher machen kann, zeigte das «St. Galler Tagblatt», das zum Terror in London eine ganze Seite einschwärzte: «Im Gedenken an die Opfer des islamistischen Terrors verzichten wir hier auf eine Berichterstattung.» Klar, wer nicht mehr berichtet, kann auch nichts mehr falsch machen.
Laut Rutishauser sind die Newsticker oft mit «20 Minuten» gekoppelt. Deshalb lasse sich «leider nicht immer verhindern, dass mal ein Bild erscheint».