LeserInnenbriefe: Gute Schule – nicht nur für die Reichen!

Nr. 24 –

«Wie ginge Chancengleichheit in der Schule?», in WOZ Nr. 22/2017

Die Lehrerverbände schätze ich ähnlich ein wie Katharina Wenziker-Welti. Sie wirken selbstverständlich als Gewerkschaften standespolitisch recht einflussreich, doch leider zu wenig für die Kinder (obwohl zufriedene SchülerInnen für uns letztlich befriedigender sind als der Lohn).

Zum Beispiel wurde vor Jahren in der «Schweizerischen Lehrerzeitung» über die Noten diskutiert. Dass sie nicht nur unergiebig sind, sondern kontraproduktiv für sachbezogenes Lernen, wurde wissenschaftlich klar dargestellt. Trotzdem werden Selektion und Leistungsdruck weiter vorangetrieben. Es entscheidet nicht die Vernunft, sondern der bequemere, ängstliche Alltagspragmatismus. Es werden sogar vorbildliche alternative Schulinitiativen erschwert – ausgerechnet von den «sozialen» Parteien – und damit den finanzkräftigeren Schichten überlassen.

Es ist nicht nur eine blosse Behauptung, dass «die Eltern eine entscheidende Rolle für den Schulerfolg ihrer Kinder spielen». Wer weiterdenkt, kommt zum Schluss, dass niemals eine politische Mehrheit, sondern allein die Eltern, das Kind und die Lehrpersonen entscheiden dürfen, was wann wie gelernt werden soll. Jedes Kind ist höchst individuell. Ein demokratisch abgestimmter allgemeiner Lehrplan ist für mündige Menschen ein Unding. Eine echte Volksschule muss also von der staatspolitischen Bevormundung gelöst werden, schrittweise, sorgfältig und sozial!

Bewusstsein dafür zu wecken, wäre eine dankbare Aufgabe für die WOZ. Von den menschenkundlichen Forschungen und ihren realen Umsetzungen wäre intensiv zu berichten. Denn das meiste, was in unserer Gesellschaft falsch läuft (und in der WOZ steht), geht auf eine ungesunde Bildung zurück.

In der gleichzeitig erschienenen «Denknetz»-Zeitung zeugt der Diskussionstext «Wie könnte eine linke Bildungspolitik aussehen?» von erstaunlicher Einsicht. Ein paar Beispiele: «Nichts spricht dagegen, dass Eltern wissen dürfen, welche Schulen und welche Lehrpersonen sich durch welche Qualität auszeichnen.» – «Die Voraussetzungen und die Abläufe des Bildungsgeschehens sind individuell verschieden.» – «Von Bildung sprechen wir, wenn sich SchülerInnen den Stoff auf ihre ganz persönliche Weise aneignen.» – «Selbstwirksamkeit, Autonomie, Mündigkeit – Freiheit – sind ebenso Elemente einer emanzipatorischen Politik wie Solidarität, Gerechtigkeit im Sinne von Gleichwertigkeit und Chancengleichheit.» – Der Satz «Es ist auch ungerecht, wenn SchülerInnen von unterschiedlich begabten und engagierten Lehrpersonen unterrichtet werden» führt endlich zu den entscheidenden Fragen nach unserem Menschenbild und unserem Verständnis von Schicksal.

Ruedi Höhn, Winterthur