Durch den Monat mit Katharina Wenziker-Welti (Teil 1): Wie ginge Chancengleichheit in der Schule?
Als Mutter hat sie im Kanton Zürich für die Abschaffung einer zweiten Fremdsprache auf Primarstufe gestimmt – als Lehrerin hätte sie ein Nein eingelegt. Das Hauptproblem sieht Katharina Wenziker-Welti aber im Schulsystem.
WOZ: Katharina Wenziker-Welti, vor wenigen Tagen ist im Kanton Zürich die Fremdspracheninitiative, die nur mehr eine Fremdsprache auf Primarstufe gefordert hat, an der Urne gescheitert. Wie haben Sie abgestimmt?
Katharina Wenziker-Welti: Ich habe als Mutter Ja gestimmt, weil unsere beiden Söhne sehr unter diesen beiden Fremdsprachen gelitten haben. Es war also vor allem ein emotionaler Entscheid. Ich habe mehr als Mutter und weniger als Lehrerin meine Stimme abgegeben.
Heisst das, als Lehrerin hätten Sie Nein gestimmt?
Ja. Ehrlich gesagt hätte ich es sogar ziemlich schlimm gefunden, wenn die Initiative angenommen worden wäre. Ich stimmte Ja, weil ich mir sicher war, dass sie letztlich abgelehnt werden würde. Stellen Sie sich bloss mal vor: das ganze Cabaret, das man um den Lehrplan 21 und seine Ausgestaltung veranstaltet hat! Ich will mir gar nicht vorstellen, was ein Ja alles ausgelöst hätte.
Wie wurde die mögliche Abschaffung einer Fremdsprache denn im Lehrerzimmer diskutiert?
Äusserst kontrovers – einige schlossen sogar Wetten ab. Interessanterweise warf der Sprachenstreit die höchsten Wellen. Viele befürchteten, Französisch würde ganz aus der Primarschule gekippt. Nicht ganz zu Unrecht, wie ich finde. Und das entwickelte sich dann zu einer enorm politischen Sache. Was eigentlich nicht erstaunt, denn wir vom Aemtler A im Zürcher Kreis 3 sind grundsätzlich ein sehr politisches Schulhaus.
Wie meinen Sie das?
Die Schule hat in den letzten Jahren enorm viele Reformen erlebt. Dadurch wuchs die Bedeutung der Personalverbände. Viele der politisch links stehenden Lehrerinnen und Lehrer haben sich dem VPOD angeschlossen. Wer weniger politisch und mehr fachlich interessiert war, orientierte sich am Lehrerverband. Das führt zwangsläufig immer wieder zu Diskussionen. Grundsätzlich finde ich die Zeitschriften des Lehrerverbands interessant, aber dieser steht nicht immer für die Dinge ein, die mir am Herzen liegen.
Ist das jetzt pädagogisch oder politisch gemeint?
Der Lehrerverband tickt grundsätzlich konservativer. Er stellt sich oft gegen Entwicklung und Erneuerung, auch wenn er das differenziert tut. Als Lehrerin bin ich vor allem froh, dass das Rad nicht zurückgedreht wird. Mittlerweile ist so vieles im Unterricht der Unterstufe auf dieses Englisch ausgerichtet, die Lehrmittel sind da, alles ist ausgearbeitet. Das gilt auch für den neuen Lehrplan, in dem das Englisch dann erst in der dritten Klasse beginnen soll. Aus pädagogischer Sicht wäre ein Ja also ein totaler Humbug gewesen.
Aber immerhin haben Sie Ihr Ja doch damit begründet, dass sich Ihre Söhne mit den Fremdsprachen so schwer taten …
Viel hat damit zu tun, dass man die erste Fremdsprache in der zweiten Klasse, also Englisch, ausgesprochen spielerisch angeht: Im Zentrum steht eine lustvolle Begegnung mit der Sprache, Noten gibt es keine. Genau so nahmen es unsere Söhne auch auf. Als es dann in der vierten Klasse plötzlich Noten in Englisch gab, schafften sie es nicht, das System von «lustvoll» zu «jetzt gilt es ernst» zu wechseln. Englisch war für sie Spielen, Singen, Malen. Und von einem Tag auf den andern mussten sie Wörter lernen, grammatikalische Regeln anwenden – damit waren sie überfordert.
Dann muss es ja eine Katastrophe für sie gewesen sein, als ein Jahr später auch noch eine zweite Fremdsprache dazukam.
Lustigerweise nicht – denn sie wussten jetzt: Es gilt ernst. Wir müssen Wörter lernen, die brauchen wir auch später wieder. Und beide finden Französisch die logischere Sprache in Bezug auf die Grammatik. Aber vielleicht spielt es auch eine Rolle, dass ich persönlich Französisch lieber mag als Englisch und es in der Mittelstufe früher auch unterrichtet habe.
Man könnte auch sagen: Ihre Söhne hatten Glück, eine Lehrerin als Mutter zu haben. Viele Kinder haben keine Eltern im Hintergrund, die sie unterstützen können.
Das stimmt. Und ich würde sogar behaupten, dass die Eltern eine entscheidende Rolle spielen für den Schulerfolg ihrer Kinder – nicht nur bei den Fremdsprachen. Ich empfinde unser Schulsystem in diesem Punkt als ziemlich ungerecht. Kinder, die zu Hause wenig Unterstützung erhalten, bekunden oft mehr Mühe, in der Schule mitzukommen. Ausser sie sind nicht nur wirklich clever, sondern auch selbstständig genug, um sich selbst zu coachen und zu disziplinieren.
Sehen Sie Wege, die Chancengleichheit in der Primarschule zu erhöhen?
Ja, beispielsweise mit dem neuen System der Tagesschulen, das auch betreute Aufgabenstunden beinhaltet. Das ist ein sinnvoller Ansatz, um die Chancengleichheit zu erhöhen. Überhaupt bin ich der Überzeugung, dass wir als Lehrerinnen und Lehrer viel mehr lehren sollten, wie man lernt. Es geht weniger um die Stoffvermittlung als darum, wie sich die Kinder den Stoff selber aneignen können. Ich finde, das kommt an unseren Schulen immer noch zu kurz.
Katharina Wenziker-Welti (47) ist seit 25 Jahren Primarschullehrerin in Zürich. Ihre Söhne besuchen die 6. Klasse und die 2. Sekundarstufe.