Im Affekt: Kaffeesatzlesen im weissen Trash

Nr. 32 –

Nein, diese Sätze kommen nicht aus der Marketingabteilung des Verlags: «Grossartige Einsichten zu Trump und Brexit» verspricht der «Independent». «Es gibt gerade kein wichtigeres Buch über Amerika zu lesen», trompetet gar der «Economist». Und auch die deutsche Presse bläst ins gleiche Horn: «J. D. Vance führt in die Welt der Trump-Wähler», meldet die FAZ. «Die Hillbillies wissen, warum Trump so beliebt ist», schreibt «Die Welt».

Wer das derart gepriesene Büchlein «Hillbilly-Elegie» liest, reibt sich die Augen, handelt es sich doch um eine auffällig schlecht geschriebene, dramaturgisch wacklige intime Familien- und Aufwachsgeschichte, geprägt von Armut, privater Schuldenwirtschaft und Drogensucht in einem heruntergekommenen Rust-Belt-Städtchen. Erzählt wird sie von einem, der dank resoluter Grossmutter und über die schmale Leiter einer Marines-Ausbildung und einer Eliteuni den Ausstieg aus dieser deprimierenden Welt geschafft hat. Der klassische amerikanische Traum vom Habenichts also, der nun ein umjubeltes Zeugnis von seinem Aufstieg ablegt.

Sicher vermittelt das Buch einen bitteren Geschmack von Armut und der sozialen, geistigen und körperlichen Versehrung, die sie anrichtet. Aber konnte man sich das alles vorher wirklich nicht vorstellen? Konkrete politische Analysen und grössere Zusammenhänge sucht man in den grellen Nahaufnahmen von «Hillbilly-Elegie» vergeblich. Das Buch erklärt höchstens, dass es keine einfachen Erklärungen gibt. Der verzweifelte Wunsch, die nach wie vor rätselhafte Spezies Trump-WählerIn «zu verstehen», vernebelt das Urteil der RezensentInnen. Zumal nicht einmal klar ist, ob die Menschen, die Vance beschreibt, überhaupt Trump gewählt haben. Die mediale Herablassung und Ignoranz einer scheinbar weiterhin total unfassbaren Bevölkerungsschicht gegenüber wiederholt sich so einmal mehr: diesmal einfach getarnt als Lobeshymne und Umarmung für ein Buch, dessen tatsächliches Erkenntnispotenzial gering ist.

J. D. Vance: «Hillbilly-Elegie». Ullstein Verlag. Berlin 2017. 304 Seiten. 30 Franken.