RebellInnenrätsel: Die schamlose Christin

Nr. 39 –

Wie gern hätten die britischen Politiker das Thema einfach unter den Teppich gekehrt. Schliesslich hatten sie mit den Gesetzen zur Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten 1864 bereits eine Lösung für die besonders betroffenen Garnisons- und Hafenstädte gefunden: Während sie die Freier aus jeder Verantwortung entliessen, ordneten sie für Prostituierte Zwangsuntersuchungen und Internierungen an. Aber da hatten sie die Rechnung ohne die Britinnen gemacht. Empört über die Doppelmoral, brachen selbst die Damen der besseren Gesellschaft das sittliche Gebot des Schweigens. Allen voran eine 41-jährige Priestergattin, die für ein Leben in christlicher Keuschheit plädierte, zugleich aber Prostituierten eine Würde zusprach und das Recht, mit Sex Geld zu verdienen, wenn sie es denn wollten. Das war unerhört.

1828 als siebtes von neun Kindern in Northumberland geboren, war die schamlose Gutsbesitzertochter in einer liberalen Familie aufgewachsen. Der Vater engagierte sich in der Liga gegen Getreidezölle, mit denen die Lebensmittelpreise künstlich hoch gehalten wurden; sie selbst gewann in der Antisklavereibewegung erste Kampagnenerfahrung. Als sie sich, inzwischen Mutter von vier Kindern, karitativ um «gefallene Mädchen» in Arbeitshäusern kümmerte, schärfte sich auch ihr Blick auf die gesellschaftlichen Verhältnisse: Diese Unglücklichen waren meist Opfer ihrer elenden Lebensumstände. Via Spenden organisierte sie bessere Unterkünfte und Arbeitsmöglichkeiten und hatte sich, als sie in den «Kreuzzug» gegen die ungerechten wie untauglichen Gesetze zog, durch ihren Einsatz für Frauenbildung bereits landesweit einen Namen gemacht.

Sechzehn Jahre protestierte und lobbyierte die charismatische Christin gegen das repressive Vorgehen der Regierung, gab mit ihren Mitstreiterinnen Zeitschriften und Broschüren heraus, verteilte Flugblätter, hielt Vorträge, lancierte Petitionen und Gesetzesentwürfe und vernetzte sich unermüdlich, auch in der Schweiz. Als nach zähem Ringen die Gesetze endlich abgeschafft wurden, hatte sie im Kampf gegen Kinderprostitution und Mädchenhandel längst ein neues, nicht minder umstrittenes Agitationsfeld gefunden.

Wer war die oft an Leib und Leben bedrohte, 1906 verstorbene Sozialreformerin, die sich gern in Grindelwald erholte und deren umfassendes Engagement Frauenbewegungen in ganz Europa inspirierte?

Wir fragten nach der englischen Frauenrechtlerin und Publizistin Josephine Elizabeth Butler (1828–1906). Ihr Engagement gegen Kinderprostitution und Mädchenhandel erwirkte einen besseren Schutz vor sexuellem Missbrauch unter anderem dadurch, dass das Ehemündigkeitsalter von Mädchen von dreizehn auf sechzehn Jahre angehoben wurde.