Von oben herab: Klasse Väter

Nr. 43 –

Stefan Gärtner über Vaterschaftsurlaub und Elternzeit

Kaum hat sich in der Schweiz das Frauenwahlrecht etabliert, steht schon der nächste sozialpolitische Durchbruch an: Väter sollen nach der Geburt ein Anrecht auf zwanzig Urlaubstage haben statt wie bisher auf einen, «so viel wie bei einem Umzug» (nzz.ch). Bislang ist das aber lediglich eine Volksinitiative, die der Bundesrat zur Ablehnung empfehlen will: «Grund sind laut Medienmitteilung die Kosten, welche die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft beeinträchtigen würden. Für die Landesregierung hat der Ausbau eines bedarfsgerechten familienergänzenden Kinderbetreuungsangebots Priorität» (ebd.).

Da dürfen Schweizer Väter einmal neidisch nach Norden schauen, wo die sog. Elternzeit als einer der grössten sozialpolitischen Erfolge der letzten Jahre gilt. Vater und Mutter dürfen gemeinsam insgesamt vierzehn Monate Urlaub nehmen bei bis zu 1800 Euro monatlich. «Gemeinsam» bedeutet, dass in aller mir bekannten Regel die Frauen zwölf und die Männer zwei Monate aussetzen (die aber mit viel Tamtam), «bis zu 1800 Euro» bedeutet, dass für das Elterngeld das letzte Nettojahresgehalt massgeblich ist: Die 1800 Euro kriegt also bloss der leistungsbereite Mittelstand, während bei der Supermarktkassiererin vielleicht nur 300 bleiben. Das ist gewollt, denn mit dem Elterngeld sollen ja nicht die gefördert werden, die ohnehin schon zu viele Kinder haben, die Armen, Prolos und Fremdstämmigen. Was Volk und Staat fehlt, ist rassereiner, Verzeihung: klassenreiner Nachwuchs, mithin Kinder, die Klavier lernen, artig sind und die Schulen nicht mit ihren Sprachproblemen nerven, Kinder, die Sophie, Julius oder Cäsar heissen und nicht Kimberley, Ayshe oder Ronald McDonald.

Die Eltern dieser Kinder wissen natürlich, dass ihr Elterngeld eine klassenpolitische Massnahme ist, und verzehren es darum in taktvoller Diskretion, indem sie mit ihrem Säugling erst mal ausgedehnte Urlaube in Feuerland oder Australien antreten; in Berlin, wo sonst, gibt es längst Reisebüros, die sich auf Leute spezialisiert haben, die vor Freude darüber, dass sie nicht verhütet haben, erst mal zwanzig Tonnen Kohlendioxid verjuxen und Kleinstkinder mehrtägigen Flügen aussetzen. Leute, die wirklich rein gar nichts begriffen haben und für die in Deutschland Politik aber bekanntlich da ist.

Diese Leute, wieder daheim, kaufen dann restlos enthirnte Quatschmagazine wie «Nido», die ihnen ausmalen, wie ihr konsumstarkes, mit Apple-Spielzeug und Retromobiliar vollgestelltes Neospiesserleben mit Kind nicht etwa aufhört, sondern erst so richtig in Fahrt kommt, und geraten ihre Kinder ein paar Jahre später dann in die Fernsehnachrichten, weil sie in irgendwelchen Kinofilmen mitspielen, dann antworten sie auf die Frage, was sie denn mal werden wollen, nicht etwa Feuerwehrfrau oder Astronaut, sondern (ich war Zeuge): «Chocolatier.»

Ja. «Der Bundesrat will von einem vierwöchigen Vaterschaftsurlaub nichts wissen. Der Altherrenklub der vier FDP-SVP-Magistraten schiesst auch Alternativvorschläge von Sozialminister Alain Berset ab» («Blick»), was die jungen Herren in der Schweiz der Möglichkeit beraubt, zu Neuen Vätern zu werden und von einem Extrem ins andere zu geraten, nämlich beim Tanz ums Kind von Anfang an mitzuhampeln und zu den pseudocoolen, bornierten Helikopterpiloten zu werden, die Elternabende so schwer erträglich machen.

Andererseits: vier Wochen, okay. Klingt nach Schweizer Vernunft.

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er sonst das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.