Gleichstellung: Der neidische Blick nach Island

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Seit Jahren schon gilt Island in Sachen Gleichberechtigung als Spitzenreiter: Das skandinavische Land führt den Gender-Gap-Index des Weltwirtschaftsforums an, ist also weltweit am wenigsten weit von Lohngleichheit entfernt. Auch das System der Kinderbetreuung ist ein Vorbild. Eltern erhalten insgesamt während neun Monaten Elterngeld – je drei Monate für Mutter und Vater, anschliessend entscheidet das Paar, wer die restlichen drei Monate bezieht. Nun ist im 330 000-EinwohnerInnen-Land am 1. Januar ein Gesetz in Kraft getreten, das Unternehmen und staatliche Behörden mit 25 und mehr Angestellten zu gleicher Bezahlung für Mann und Frau verpflichtet. In den nächsten Monaten sollen Firmen, die Lohngleichheit fördern, entsprechende Zertifikate erhalten. Wer sich nicht an die Weisung hält, wird gebüsst.

Zurzeit verdienen Frauen in Island zwischen vierzehn und achtzehn Prozent weniger als Männer. Mit ihrer Massnahme will die Regierung, die aus einer linksgrünen und zwei rechtsbürgerlichen Parteien besteht, die Lohnlücke zwischen den Geschlechtern in den nächsten vier Jahren vollends schliessen. Natürlich ist auch das isländische System nicht frei von Diskriminierung; solange etwa mehr Frauen unbezahlte Care-Arbeit leisten und im Schnitt mehr Teilzeit arbeiten, bleibt auch das beste Lohngleichheitsgesetz nicht viel mehr als eine schöne Geste. Doch weil letztlich auch eine schöne Geste manche Strukturen zu ändern vermag, kann man den IsländerInnen zu ihrem neuen Gesetz nur herzlich gratulieren. Denn in der Schweiz ist man selbst von derartiger Symbolpolitik weit entfernt.

Wie wenig vordringlich tatsächliche Gleichstellung für die rechtsbürgerliche Mehrheit im Land offensichtlich ist, hat die Ablehnung eines Vaterschaftsurlaubs von gerade mal zwanzig Tagen gezeigt. Und auch punkto Lohngleichheit bleibt viel zu tun. Zwar will der Bundesrat das Gleichstellungsgesetz revidieren: Justizministerin Simonetta Sommaruga will Unternehmen verpflichten, künftig alle vier Jahre die Löhne betriebsintern zu analysieren und die Angestellten über das Ergebnis zu informieren, um «Anreize zu schaffen, das Lohngefüge anzupassen», heisst es in einer Medienmitteilung. In zwei Wochen soll die zuständige Ständeratskommission darüber verhandeln.

Die meisten bürgerlichen Parteien sind dagegen, die Vorlage hat also einen schweren Stand. Und radikal ist sie ohnehin nicht: Das Modell soll nur für Unternehmen mit fünfzig oder mehr MitarbeiterInnen gelten – und auf freiwilliger Basis erfolgen. Nachdem Sommaruga der Kritik der Bürgerlichen an einer «Lohnpolizei» nachgab, sind Sanktionen bei Verstössen im Konzept nicht mehr vorgesehen.