Verena Stefan (1947–2017): Lust am Sprachspiel

Nr. 49 –

«Ich bin wie einer dieser langsam verglühenden Ahornbäume, die nun ihre Blätter lassen», schrieb Verena Stefan am 18. November. Am 29. November, kurz nach ihrem 70. Geburtstag, ist sie bei sich zu Hause in Montreal gestorben.

In den Neunzigern besuchte sie mich in Sardinien. Meine Wohnung war so kalt, dass Verena mit der Strickmütze ins Bett stieg und tagsüber in fingerlosen Handschuhen schrieb. Abends am Kaminfeuer redeten wir über Sätze und Wörter und lasen uns gegenseitig vor.

Dreissig Jahre lang waren wir befreundet. Der Beginn war schwierig. Verena Stefan, die prominente Autorin von «Häutungen», und ich, die vergleichsweise unbekannte Schriftstellerin aus der Schweiz. Meint sie wirklich mich?, fragte ich mich. Und erkannte erst später, dass Verena sich das Gleiche fragte. Zu oft war sie verletzt worden, war nicht als Mensch gemeint gewesen, sondern als Berühmtheit, in deren Glanz sich andere sonnten oder umgekehrt: von der sich andere abwandten, weil Schwesterlichkeit Gleichheit bedeutete und eine, die herausragte, ganz sicher keine Schwester mehr war. Die Diskussionen um «Häutungen», das zu einem wichtigen Werk der Frauenbewegung wurde, und ihre Bekanntheit führten Verena Stefan in eine lange, schmerzliche Schreibkrise.

Das Schreiben verband uns, der Respekt füreinander und für die jeweilige Arbeit, die Ernsthaftigkeit, mit der wir uns dem Schreiben widmeten. Gegenseitig kritisierten wir unsere Texte. Es war nicht immer einfach, manchmal haderte ich mit ihr, manchmal packte sie abrupt die Blätter zusammen. Doch ihr Urteil galt mir viel. «Bist du wohlauf?», schrieb sie mir vor einem Jahr, «und gut Freundin mit Deinem Manuskript auch?»

Der Austausch über Texte, eigene und fremde, war ein wichtiger Teil unserer Freundschaft. Aber auch die Lebensform vereinte uns. Beide leben, lebten wir in langjährigen Beziehungen mit unseren Partnerinnen. Verenas Freude daran, mit meiner Gefährtin berndeutsch zu reden, so richtig, sodass ich als Zürcherin nicht mehr alles verstand, unsere Lust am Sprachspiel und an fremden Sprachen: Das alles wird mir fehlen. Es bleiben die Erinnerungen, die Freude über eine langjährige Freundschaft und der Wunsch, ihre Bücher zum dritten und vierten Mal zu lesen.