Kino-Film «Wajib»: Im Volvo durch Nazareth

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«Du sprichst ihre Sprache besser als sie selbst», wirft Shadi (Saleh Bakri) seinem Vater (Mohammad Bakri) an den Kopf und entfernt sich mit entschlossenen Schritten. Bereits zum zweiten Mal an diesem Tag steigt er voller Zorn aus dem gemeinsamen Auto, mit dem die beiden durch Nazareth fahren, um die Einladungen zur Hochzeit von Shadis Schwester zu verteilen. Der Konfliktpunkt: Der Vater hat sich mit der israelischen Besatzungsmacht arrangiert, der Sohn erträgt dies kaum – lebt aber selbst im Ausland und kann sich somit der alltäglichen Unterdrückung bequem entziehen, wie ihm der Vater vorhält.

Mohammad und Saleh Bakri, die beiden Hauptdarsteller, sind auch im richtigen Leben Vater und Sohn. Die Protagonisten in «Wajib» (Verpflichtung), dem dritten Film der palästinensischen Regisseurin Annemarie Jacir, folgen ihrer familiären Pflicht, die Einladungskarten persönlich zu überbringen – im Ganzen 340 Stück. Zwischen den Besuchen kochen im silbergrauen Volvo die Gefühle hoch. Als zum Beispiel der Name eines Geheimdienstmitarbeiters fällt, den der Vater gerne einladen, der Sohn aber keinesfalls dabeihaben möchte. Gleichzeitig ist als Grundfärbung eine starke gegenseitige Zuneigung spürbar. Der Regisseurin gelingt es dabei, die Vater-Sohn-Beziehung in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit überzeugend offenzulegen, eingefangen von einer Kamera, die viel auf die Gesichter fokussiert.

So bietet «Wajib» wie nebenbei einen Einblick in die palästinensische Lebensrealität. Die verschiedenen Besuche zum Überbringen der Hochzeitseinladungen geben dagegen meist wenig her – sie wirken wie zufällig aneinandergereihte Begegnungen, in denen nicht viel passiert, ausser dass viel Kaffee getrunken wird.

Wie die beiden Protagonisten selbst mag auch das Publikum des Austauschs von Belanglosigkeiten überdrüssig werden. Da hätte mehr Substanz dem Film gutgetan. Seine Stärken hat er dort, wo Annemarie Jacir mit grossem Einfühlungsvermögen die Beziehung ihrer Protagonisten ausleuchtet.

Wajib. Regie: Annemarie Jacir. Palästina 2017