Diesseits von Gut und Böse: Nervtötend und übertrieben
Ach, der Gutmensch. Längst hat er seinen Platz im Duden gefunden, wenn auch mit dem Zusatz «meist abwertend oder ironisch»; komplett ironiefrei hingegen hat er es inzwischen in den «Tages-Anzeiger» geschafft. Der Regisseur eines Dokumentarfilms zeige «Menschen, die ihre Utopie leben», hiess es da, er «porträtiert dafür Gutmenschen, setzt sich mit extremen Beispielen auseinander».
Die extremen Beispiele wohnen in der Zürcher Genossenschaft Kalkbreite: eine junge Familie, die «eine Autoverzichtserklärung unterzeichnet» hat, ein Ökonom, «der Zug fährt und die Schrumpfung der Wirtschaft als einzige Lösung sieht», und die Hebamme, die sich an der Basisdemokratie freut, weil «die in der Kalkbreite ebenso gelebt wird wie in ihrem Team».
Wenn das die Kriterien fürs Gutmenschentum sind, bin ich natürlich auch einer, und ein solcher verhält sich – gemäss Duden – «in einer als unkritisch, übertrieben, nervtötend o. ä. empfundenen Weise im Sinne der Political Correctness».
Zur selben Spezies gehören jene, die sich kürzlich furchtbar ärgern mussten, weil mitten im naturgeschützten Schilfgebiet am Greifensee ein Plakat den Bau von Luxuswohnungen ankündigte; und als sie merkten, dass es bloss eine PR-Aktion des Kantons Zürich war, der aufs 75-Jahr-Jubiläum von Natur- und Landschaftsschutz aufmerksam machen wollte – was zweifellos gelungen ist –, haben sie sich noch mehr geärgert.
Ein empörter Gutmensch soll jetzt Strafanzeige eingereicht haben – der will mal Bösmensch sein.