Im Affekt: Verschwörungen in der Europaallee

Nr. 26 –

Wie kürzlich in St. Gallen mischt sich auch in Zürich die Stadtregierung in die Arbeit professioneller Kunstjurys ein. Hier traf es die von Stadt und SBB für das Lichtkunstprojekt in der Europaallee berufene Jury, die den Schriftzug «Illuminati» von Künstler Gianni Motti küren wollte. FDP-Stadtrat Filippo Leutenegger und SBB-Immobilien-Leiter Jürg Stöckli schrieben einen Brief an die Mitglieder der Jury, in dem sie sich gegen die Empfehlung stellten. Der Entscheid fiel bereits 2016, publik gemacht hat ihn nun der Galerist Nicola von Senger. Er hat Mottis Leuchtkörper auf dem Vordach seiner Galerie aufgestellt und den Brief an die Tür gehängt.

Leutenegger und Stöckli begründen ihre Intervention damit, der Schriftzug sei «für die Bahnfahrenden nicht ohne Weiteres als Kunst zu erkennen», womit die Selbstdeklaration als Erleuchtete der SBB und der Stadt Zürich leicht als Arroganz ausgelegt werden könne. Man muss sich schon für besonders erleuchtet halten, um überhaupt auf eine solche Idee zu kommen.

Vielleicht verstehen Leutenegger und Stöckli auch keine Ironie: «Illuminati», wie im Begleittext zu Mottis Werk zu lesen ist, stehe für visionäre Kräfte. Da hat die SBB Immobilien doch eine Menge davon reingesteckt, in diese Europaallee. Der prächtige Boulevard wird uns Licht und Fortschritt bringen, alle sind wir zur «Bewusstseinserweiterung» eingeladen in den neuen «Smart Cities». Dies auch dank der regen Zusammenarbeit mit den Kreativen der Stadt. Ohne sie würde es hier noch lange wie in einer Zombiehölle aussehen.

Vermutlich bangen die Stadt und die SBB tatsächlich um ihr Image. Leutenegger und Stöckli schreiben weiter, es könnten «sich negative Assoziationen ergeben mit den ‹Illuminati› als bekannte historische Bewegung, die im heutigen Bewusstsein – zu Recht oder zu Unrecht – als geheimbündlerisch und sektiererisch gilt.» Es sei «nicht einzusehen, warum sich die SBB oder die Stadt Zürich in diesen Dunstkreis begeben sollen». Da hält man schon besser die Zügel fest in den Händen. Erst recht in Zeiten, in denen der Verschwörungsgeist in Europa umgeht.

Vielleicht sind die Zwingli-Oberen auch immer noch sauer auf Gianni Motti: Den Kredit für eine Ausstellung hatte er einst als Check über 50 000 Franken im Zürcher Helmhaus versteckt.