LeserInnenbriefe

Nr. 42 –

Erst denken, dann kämpfen

«Klimabericht: Die Kämpfe werden heftig», WOZ Nr. 41/2018

Überall, so auch in der WOZ, wird geschrieben, die CO2-Rückbindung in den Boden dürfe «nicht auf Kosten der Nahrungsmittelproduktion» gehen. Und da ist er wieder, der blinde Fleck, der Elend bei Milliarden von Menschen und Tieren verursacht. Laut einem neuen Bericht von Agroscope werden weltweit auf 17 Prozent des fruchtbaren Bodens 82 Prozent der Kalorien für die Menschheit in Form von Pflanzennahrung angebaut. Um die gesamte Menschheit pflanzlich zu ernähren, würden also nur 21 Prozent des Bodens gebraucht!

Ich verdopple in der Rechnung diese Fläche, damit wir humusaufbauend, biologisch, ohne Mist und Gülle und auf eine die Biodiversität begünstigende Weise ackern könnten. (In einer von der Uni Zürich veröffentlichten Studie ist zu lesen, dass artenreiche Flächen mehr als doppelt so viel CO2 binden wie Monokulturen.) Dann blieben 58 Prozent des fruchtbaren Bodens für die Wiederaufforstung, Renaturierung von Feuchtgebieten etc. übrig. Dies sind Massnahmen, die dazu beitragen würden, CO2 aus der Atmosphäre zu entfernen. Und nicht zuletzt könnten wir Land den Menschen zurückgeben, deren Lebensgrundlage unserer «Gier nach Tier» geopfert wurde.

Mein Fazit zu Ihrer Berichterstattung: Auch in linken, sogenannt ökologischen Kreisen wollen die meisten nicht zu Ende denken. Die Lösung ist einfach: Ersetzen wir Tierprodukte durch pflanzliche Nahrung, dann haben wir sehr viel Fläche zur freien Verfügung.

Christine Gadola, Dielsdorf

Ein Schiedsgericht?

«Wikipedia: Wie der Wissensschwarm diskutiert», WOZ Nr. 41/2018

Ich bin Fan der Wikipedia, nutze sie im technischen Bereich fast täglich, habe schon Artikel geschrieben und für sie gespendet. Der Leitartikel in der aktuellen WOZ kommt dann aber doch sehr banal daher. Dass Frauen und Minderheiten untervertreten sind und grosse Firmen sich unentgeltlich bedienen, muss ich nicht in der WOZ zum hundertsten Mal lesen.

Wie der Autor die Wikipedia jedoch gegen Angriffe verteidigt, ist bedenklich. Es ist diffamierend, die Einzelperson Ken Jebsen (KenFM) im selben Satz – ich unterstelle hier vollen Vorsatz – wie rechtspopulistische Propaganda zu nennen. Man muss kein Fan von KenFM sein, aber ihn ins rechte Lager zu stecken, gehört zur Mainstreampropaganda, um kritische Stimmen mundtot zu machen. Dass sich die WOZ daran beteiligt, ist tragisch.

Nicht KenFM hat Kritik an Wikipedia geübt, sondern seine Gäste Dirk Pohlmann und Markus Fiedler kritisieren an einem Beispiel das System der Administratoren und deren Macht. Ich habe versucht, den Streit nachzuvollziehen, und bin wie immer bei solchen Disputen in den Tiefen des Internets versunken. Behauptungen wird widersprochen, worauf neue Behauptungen aufgestellt werden etc. – dafür, mich en détail damit zu befassen, habe ich schlicht keine Zeit. Hier könnte mir kritischer Journalismus helfen, den Streit einzuordnen.

Es geht um ein grundsätzliches Problem: Die Wikipedia hat heute praktisch das Monopol auf die Wahrheit. Wahrheit und Geschichte werden aber gemacht. Wenn ein männlicher Moderator einen Artikel über eine jetzige Nobelpreisträgerin blockiert hat, wird jetzt (nach #MeToo?) darüber berichtet – wenn ein Administrator Texte über ein bestimmtes Thema im grossen Stil redigiert, schweigt die Presse.

Für die allermeisten Artikel funktioniert das bestehende System gut, vielleicht stösst es bei kontroversen Themen aber an seine Grenzen. Vielleicht müssten solche Themen einem Schiedsgericht vorgelegt werden?

Da die Wikipedia für uns eine solche Relevanz bekommen hat, würde sich ein kritischer Blick auf die Machtstrukturen wie überall lohnen – genau das, was ein kritisches Blatt machen müsste. Das macht die Wikipedia nicht schlechter, sondern es macht unsere Wikipedia noch besser.

Michael Lehmann, per E-Mail