Auf allen Kanälen: Pelda ermittelt
Darf ein Journalist eine Straftat provozieren, über die er dann berichtet? Der An-Nur-Prozess wirft einige medienethische Fragen auf.
Die Rüge an die Adresse der Medien war gepfeffert. Im Prozess um die Winterthurer An-Nur-Moschee von letzter Woche sprach der Gerichtspräsident Andreas Oehler von einer «massiven Vorverurteilung in den Medien» und einer «eigentlichen Kampagne». Einer der Strafverteidiger sprach von einer «medialen Hetzjagd» und davon, dass die Unschuldsvermutung mit Füssen getreten worden sei.
Im Zentrum dieser Kritik steht der Journalist Kurt Pelda, der heute für Tamedia tätig ist. Er hatte am 3. November 2016 in der «Weltwoche» den Artikel «Aufruf zum Mord» veröffentlicht. Pelda verfügte über eine Tonaufnahme von einer Hasspredigt in der Winterthurer An-Nur-Moschee. Kurz vor der Publikation hatte er die Behörden informiert und seine Dokumente mit der Polizei geteilt, worauf diese bei einer Razzia in der An-Nur-Moschee einen Imam verhaftete.
Währenddessen trieb das enge Umfeld der Moschee die Frage um, wie Pelda an diese Tonaufnahme gelangt war. Eine Gruppe von jungen Männern glaubte schliesslich, zwei Spitzel ausgemacht zu haben. Die beiden «Verräter» wurden bei einem ihrer nächsten Besuche in der Moschee verprügelt und bedroht, was das Gericht mit Chat- und Telefonprotokollen nachzeichnen kann.
Geld für den Spitzel
Beim Prozess vor dem Bezirksgericht Winterthur wurden nun acht der zehn beschuldigten Mitglieder der ehemaligen An-Nur-Gemeinde verurteilt, unter anderem wegen Freiheitsberaubung, Nötigung und Drohung. Zwei der zehn Angeklagten werden für sieben Jahre des Landes verwiesen.
Zu den Geschädigten gehört auch einer von Peldas zwei Informanten. Am 30. September 2018 äusserte sich dieser erstmals in der «SonntagsZeitung». Es gehe ihm schlecht, er sei in psychiatrischer Behandlung, habe grosse Ängste, schlucke Tabletten, meide öffentliche Plätze. Aus Sicht des Gerichts ist erwiesen, dass der Mann im Auftrag Peldas handelte und zu diesem in einer geschäftlichen Beziehung stand, da er jeweils ein Honorar erhielt. Ausserdem habe er in der An-Nur-Moschee fotografiert und somit die Geheim- und Privatsphäre verletzt, so ein Strafverteidiger.
Aus journalistischer Sicht stellen sich folgende Fragen: Inwiefern hat sich Pelda von seiner Rolle als Journalist entfernt und sich zum Gehilfen der Staatsanwaltschaft gemacht? Inwiefern hat er die Prügelei selbst ausgelöst, über die er dann berichtet hat? Und war er in seiner Schutzfunktion gegenüber seinem Informanten fahrlässig?
Klar verteilte Rollen
Grundsätzlich ist die Rollenverteilung klar: JournalistInnen recherchieren, die Behörden ermitteln und urteilen. JournalistInnen sind keine AkteurInnen. Natürlich kann ein Journalist die Behörden alarmieren, wenn er bei seinen Recherchen auf eine Straftat stösst. Aber die polizeiliche Ermittlung ist Sache der Behörden; der Journalist muss auch nicht seine Dokumente und Informationen mit den Behörden teilen. Dem Staat standen ausreichend Mittel zur Verfügung, um den aufgedeckten Missständen in der An-Nur-Moschee nachzugehen.
Im Fall der An-Nur-Moschee kann man argumentieren, dass das öffentliche Interesse gross gewesen sei, was beispielsweise ein Honorar für den Informanten medienethisch zulässig macht. Dies, weil man anders nicht an die Informationen gekommen wäre. Das öffentliche Interesse rechtfertigt wohl sogar, dass Pelda die Straftat selbst provozierte, über die er dann berichtete. Wäre Peldas verdeckte Recherche in der Moschee nicht aufgeflogen, wären seine beiden Informanten nicht verprügelt und bedroht worden.
Auf eigene Faust
Ob das öffentliche Interesse ebenfalls zum Zug kommt bei der Tatsache, dass Pelda weiter auf eigene Faust recherchierte, nachdem die Behörden bereits Ermittlungen aufgenommen hatten, ist fraglich. Nicht zuletzt deshalb, weil der Journalist dadurch seinen Informanten in Gefahr gebracht hat. Pelda sagt auf Anfrage: «Ich habe ihm mit klaren Worten davon abgeraten, seinen Fuss jemals wieder in dieses Gotteshaus zu setzen. Wie wir inzwischen wissen, hat er diesen Rat in den Wind geschlagen.»
Nina Fargahi ist Chefredaktorin des Medienmagazins «Edito».