Krise in Venezuela: Dialog – oder es fliesst Blut

Nr. 6 –

Man kann sich leicht einreden, dass das, was sich in Venezuela abspielt, so etwas wie ein Putsch in Zeitlupe sei: Zunächst konspirierten rechte OppositionspolitikerInnen mit der US-Regierung. Diese lotete bei der venezolanischen Armee aus, ob denn ein Staatsstreich ähnlich dem des Augusto Pinochet 1973 in Chile möglich wäre. Als dies kaum erfolgversprechend schien, versuchten sie es mit Plan B: Ein rechter, noch unverbrauchter Oppositionspolitiker erklärt sich selbst zum Präsidenten und wird sofort von den USA – und inzwischen knapp drei Dutzend weiteren Ländern – anerkannt. Wenn es für diesen brenzlig werden sollte, kann er die USA zu Hilfe rufen.

Auch diese Variante gehört seit der gescheiterten Invasion in der kubanischen Schweinebucht 1961 zum Instrumentarium des US-Geheimdiensts CIA. Damals stand eine «Exilregierung» bereit, um nach einer US-Militärintervention zu rufen. Heute hat Präsident Donald Trump schon oft getwittert, dass er Truppen schicken würde. Auch die Gründe für eine Verschwörung scheinen klar: Unter dem Boden des Landes liegen die weltweit grössten Ölreserven, und in Caracas herrscht eine Regierung, die sich sozialistisch nennt.

Aber so einfach ist es nicht. Ob es der Volkswille war, der Nicolás Maduro ins Präsidentenamt gebracht hat, kann durchaus bezweifelt werden. Der Mann biegt die von seinem Vorgänger Hugo Chávez geerbte Verfassung nach den eigenen Machtbedürfnissen zurecht. Diese Verfassung kennt eine Gewaltenteilung zwischen Präsident, Parlament und Gerichten. Sie sieht nicht vor, dass die obersten Gerichtshöfe des Landes ausschliesslich mit LakaiInnen des Präsidenten besetzt werden. Sie kennt zwar das Instrument einer verfassungsgebenden Versammlung, die, sollte sie einberufen werden, über allen anderen Verfassungsorganen steht. Aber diese soll eben eine neue Verfassung erarbeiten. Im Venezuela Maduros tut sie das nicht, sondern ist allein dazu da, die Beschlüsse des von der Opposition dominierten Parlaments auszuhebeln.

Auch die Rechtmässigkeit der Wiederwahl Maduros im Mai 2018 darf angezweifelt werden. Dass sie kurzfristig anberaumt wurde, um eine Schwäche der Opposition zu nutzen, mag noch angehen, das kennt man auch aus Ländern wie Grossbritannien. Dass aber Teile dieser Opposition ausgeschlossen wurden und prominente PolitikerInnen in Haft oder im Exil waren, hat mit einer demokratischen Wahl nichts mehr zu tun. Über schwer nachzuprüfende Berichte von Einschüchterungen und groben Manipulationen braucht man da erst gar nicht zu streiten. In diesen Tagen häufen sich durchaus überprüfbare Berichte, nach denen eine Spezialeinheit der Polizei nachts agiert wie rechte Todesschwadronen in den achtziger Jahren in El Salvador. Dies zeigt, dass Maduro längst weitab von dem ist, was Chávez einmal mit einem «Sozialismus des 21. Jahrhunderts» meinte.

Maduro gibt sich dialogbereit. Wie ernst er das meint, sei dahingestellt. Oppositionspräsident Juan Guaidó aber will nur über den Rücktritt Maduros reden. Er fühlt sich durch seine potenten UnterstützerInnen in den USA und der Europäischen Union gestärkt und will keinen Schritt zurück. Ernsthafte Verhandlungen scheinen unmöglich, ein gewaltsames Ende wird immer wahrscheinlicher. Schwenkt doch noch ein Teil der von Guaidó umworbenen Armee zur Opposition um, gibt es einen Bürgerkrieg. Passiert das nicht, wird Maduro die Proteste mit stetiger Repression entmutigen – und auch das wird viele Leben kosten. Das schlimmste Szenario wäre eine Militärintervention von aussen. Maduro hat angekündigt, er würde dann Venezuela mit seinen chavistischen Milizen in ein zweites Vietnam verwandeln.

Wer aber könnte als glaubwürdiger Vermittler die Kontrahenten an einen Tisch zwingen? Es sind nicht mehr viele, die sich auf keine Seite geschlagen haben und darauf bestehen, dass der Machtkampf in Venezuela gelöst werden muss – politisch und ohne Blut: Mexiko, Uruguay, die Schweiz, vielleicht auch der Vatikan. Deren Initiative ist nun gefragt. Sie haben nicht mehr viel Zeit.