#digi: Im Wilden Westen

Nr. 8 –

Algorithmen überwachen immer öfter den öffentlichen Raum. Sie erkennen unsere Gesichter, unseren Gang und unser «auffälliges Verhalten». In den letzten Jahren testete das deutsche Innenministerium am Berliner Bahnhof Südkreuz ein Gesichtserkennungssystem. Am gleichen Bahnhof wollte die Deutsche Bahn unlängst ein weiteres System prüfen. «Intelligente Videoanalysesysteme» sollten in Echtzeit «Gefahrensituationen» erkennen. Dadurch könnten abgestellte Gegenstände, Menschen, die «festgelegte Bereiche» betreten, oder grosse Personenströme identifiziert und auch einzelne Menschen durch den Bahnhof hindurch verfolgt werden.

Nun wurde der Versuch abgeblasen. Ethische Bedenken standen dabei nicht im Vordergrund. Viel eher hat die Bahn mit anderen Baustellen zu kämpfen und möchte keine Ressourcen für das Projekt einsetzen. Denn allein die Ausstattung von 900 deutschen Bahnhöfen mit Videoüberwachungstechnik hat mehrere Hundert Millionen Euro gekostet. Die Betriebskosten der Anlagen sind da nicht eingerechnet.

Die Stadt Mannheim lässt sich davon nicht abschrecken. Dort nahm die Polizei im Dezember einen fünfjährigen Pilotversuch auf. Seither überwachen 76 Kameras vier gut frequentierte Plätze und Strassen in der Innenstadt. Ein System zur Verhaltenserkennung ergänzt die Kameras – macht jemand eine «unnatürliche» Bewegung, schlägt es Alarm. Das erklärte Ziel ist es, die Kleinkriminalität zu senken; der baden-württembergische CDU-Innenminister Thomas Strobl hoffte an der Einweihung, dass am Ende das System im automatischen Modus die Polizei entlaste.

So herrscht auf der Strasse das Gesetz des algorithmischen Wilden Westens. Auch in der Schweiz fehlen klare Regulierungen und Datenschutzvorschriften. Das bemängelt der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte im letzten Tätigkeitsbericht. In einem demokratischen Rechtsstaat müsse der grundrechtliche Schutz der Freiheit stets den Vorrang gegenüber der Wahrung der Sicherheit haben. Die Devise wäre damit klar: Mehr Transparenz und Zurückhaltung statt Konformitätsdruck durch algorithmische Massenüberwachung.