LeserInnenbriefe

Nr. 19 –

Der Realität ins Gesicht gesehen

«Arbeitswelt: Von einem zum anderen miesen Job strampeln», WOZ Nr. 17/2019

Die Autoren leiten die Aufmerksamkeit auf die vermehrt sichtbar werdende Unsicherheit im Arbeitsmarkt, wo Praktikanten, «white collar workers» und temporär Angestellte am Rande der Gesellschaft stehen. Gemäss Studien, die der Bund in Auftrag gab, leben rund 475 000 Beschäftigte in der Schweiz in prekärer finanzieller Situation. In Ergänzung dazu machen die im «Sozialalmanach 2019» der Caritas gezeigten Zahlen Besorgniserregendes deutlich: Dem reichsten Bevölkerungsprozent gehören mittlerweile vierzig Prozent des Gesamtvermögens, während die Bevölkerungsmehrheit im Durchschnitt lediglich 50 000 Franken besitzt und das unterste Viertel gar kein Vermögen. Dies alles in einer Welt, die seit Jahrzehnten über Güter verfügt, die durch Automatisierung zu einem Bruchteil der ehemaligen Kosten produziert werden. Ungeachtet dessen sind die Medien voll von Zauberformeln wie «Algorithmen», «digitale Techniken» et cetera, die nicht nur der notleidende Bürger nicht versteht. Müssten wir da im Lande der direkten Demokratie nicht wieder vermehrt auf soziale Gerechtigkeit und Solidarität setzen? Die WOZ hat der Realität ins Gesicht gesehen.

Max Brodmann, Reinach BL

Gemeinsame Geschichte

«Biomilch: Zu wenig Biofutter – ein Skandal?», WOZ Nr. 15/2019 und «LeserInnenbrief: Das Leiden der Kühe», WOZ Nr. 17/2019

Berichtet die WOZ über Kühe, dann folgt der kuhhaltungskritische LeserInnenbrief so sicher wie das Wiederkäuen nach dem Weidegang. Gerne gipfelt die vegane Inbrunst in der Anklage, wir KuhhalterInnen würden unsere Kühe zwangsweise jährlich «schwängern» lassen. Nur so sei es möglich, den Tieren immer noch mehr Milch und Kälber zu entreissen.

Bei aller berechtigten Kritik: Das schüttet nun wirklich das Kalb mit dem Bade aus. Wer einmal eine Kuhherde inklusive Stier beobachtet, wird das schnell feststellen. Geschlechtsreife Kühe, die nicht tragen, zeigen alle drei Wochen ihre Paarungsbereitschaft. Der Stier lässt sich in der Regel nicht zwei Mal bitten. Bei einer Tragezeit von rund neun Monaten würde also selbst in einer wild lebenden Herde jede Kuh ungefähr jährlich ein Kalb gebären. Weil das so ist, kann auch eine nutzungsfreie Kuhhaltung auf den gerade en vogue stehenden «Lebenshöfen» nur um den Preis massiver Eingriffe ins natürliche Tierverhalten stattfinden: Kastration aller männlichen Tiere, Unterbindung der Fortpflanzung. Die logische Konsequenz aus fundamentaler Kritik an der landwirtschaftlichen Kuhhaltung kann deshalb nur sein, gar keine Kühe mehr um uns zu haben.

Ehrlich gesagt: Ich schaue in diesen Tagen viel zu gerne meinen paar Rindviechern bei der genüsslichen Frühjahrsweide zu, um mir das wünschen zu wollen. Lassen wir also die Massenhaltung von Schweinen und Hühnern weg, ernähren unsere Kühe nur mit Heu und Gras, geniessen Milchprodukte und Rindfleisch in kleinen Mengen! Dann kann die Jahrtausende währende gemeinsame Kulturgeschichte von Mensch und Rindvieh respektvoll, natur- und klimaverträglich weitergehen.

Rico Kessler, Rünenberg BL