Architektur – Atmosphäre 0 : 0 Schweizer Fussballfans machen sich über Einheitsstadien und Plastikarenen lustig – doch ist die heutige Stadionarchitektur wirklich so schlecht? Unsere Stadionkritik zeigt: Meist kommt der Architektur die Rendite in die Quere.
Echte Fussballfans sind unter ArchitektInnen schwer zu finden. Jacques Herzog und Pierre de Meuron sind eine rare Ausnahme. Ihr kompakter St.-Jakob-Park in Basel, der 2008 für die Europameisterschaft erweitert wurde, machte 2001 denn auch den Anfang einer Welle neuer Fussballstadien in der Schweiz.
Die Architektur dieser Stadien hat ihren Ursprung im Zauberwort «multifunktional» – was so viel bedeutet wie: Die Kasse muss stimmen. Schon 1989 schwärmte der damalige Fifa-Pressechef, Guido Tognoni, in der Fachzeitung «Sport»: «Das Joe Robbie Stadium in Miami ist das Modell für die Stadionbauer unserer Tage.» Die gigantische Arena fasste damals 72 000 Menschen und lässt sich vom American-Football-Tempel in eine Poparena oder ein Motodrom umbauen.
Setzte bereits das einstige Basler Joggeli auf Rockkonzerte, ist der neue St.-Jakob-Park eine Kombination aus Stadion, Altersresidenz und Warenhaus. An der Hülle übten Herzog und de Meuron, was sie vier Jahre später an der Allianz-Arena in München um einiges imposanter inszenierten: Transluzide Lichtkuppeln aus Polycarbonat lassen den Bau in den Klubfarben leuchten. Auch innen gestalteten die Architekten den Raum vornehmlich mit Farbe, Rot und Blau, ergänzt vom Grün des Rasens. Ein solider Bau, funktional, wenn unbeleuchtet auch wenig spektakulär. Auch daraus scheinen sie in München gelernt zu haben, Bayerns Heimstätte wirkt auch ohne Licht.
Die Basler Plastikhülle übrigens hat eine Lebensdauer von fünfzehn bis zwanzig Jahren. Aktuell führt der FC Basel deshalb erste Renovationsgespräche. Noch existiert kein Projekt, es soll aber bereits erste Skizzen geben. Geplant sei, die Kapazität zu verknappen, sowie eine steilere, nicht mehr zweigeteilte Rampe der Muttenzerkurve – beides für mehr Heimspielatmosphäre.
Gross und banal
Das 2005 eröffnete Berner Stade de Suisse ist zwar das grösste Stadion der Schweiz, seine Architektur aber eine der banalsten: Der erste Entwurf stammte vom Zürcher Büro Rebmann, wurde später vom Lausanner Rodolphe Luscher sowie Schwaar & Partner überarbeitet. Auch hier ist das Volumen für die Rendite mit Büros und Läden gefüllt. Sein markantestes Element ist das Dach, das dank schlanker Stahlbetonstützen schwebend wirken soll. Dieser Eindruck stellt sich von aussen gar nicht ein und wirkt auch im Innern nur mangelhaft – südseitig unterbricht ein in die Arena hineingedrücktes Volumen den Rhythmus. Es enthält die an Sponsoren vermieteten Logen.
Ähnlich belanglos wirkt die Stockhorn-Arena in Thun: Hier haben Pool Architekten 2011 eine Stadionbox hingestellt, die Betonstruktur der ZuschauerInnenränge verstecken sie rundum hinter einer Mauer. Diese durchbrechen sie zum Dach hin mit leichten, zickzackförmigen Stützen. Mit diesem dekorativen Element versuchen die Architekten, dem gedrungenen Kasten etwas Eleganz zu verleihen, was nur leidlich gelingt.
Ein ebenso funktionales, aber dennoch gelungenes Beispiel ist die 2008 erbaute Heimstätte des FC St. Gallen. Geplant hat sie der lokale Architekt Bruno Clerici. Der Kybunpark – seit 2016 ist die Arena dem unförmigen Wackelschuh der Firma Kybun gewidmet – steht im Westen der Stadt, zwanzig Minuten vom Zentrum entfernt, am Autobahnkreuz Winkeln. Nach dem Vorbild klassischer englischer Stadien vermeidet der Architekt Tribünen mit Kurven und stellt die vier Rampen parallel zu den Spielfeldkanten. So sitzen die ZuschauerInnen näher am Spielgeschehen, nur gerade 6,5 Meter hinter dem Tor – näher kommen dem Spielfeld hierzulande keine anderen Fans. Auch die Tribüne ist mit 32 Grad eine der steilsten der Schweiz. Die Tribünendächer sind aussen abgerundet, sodass die Arena dennoch oval wirkt. Gut sichtbar sind zudem die hängenden Betonunterseiten und die massiven Stahlstützen – Ehrlichkeit, die in Zeiten des Brutalismusbooms schon fast wieder zeitgemäss wirkt. Unsorgfältig integriert ist allerdings auch hier der Logentrakt, der sich mit seiner Stahl-Glas-Struktur vom Rest des Stadions abhebt.
Ähnlich zuschauerfreundlich sind die Verhältnisse in Luzern: Die Tribüne der Swissporarena steigt 7,5 Meter hinter dem Tor nach oben. Wie in St. Gallen setzten die Architekten auf nur einen Rang, was akustisch als beste Voraussetzung für gute Stimmung gilt. Ansonsten ist das 2011 fertiggestellte Projekt der lokalen Architektengemeinschaft Daniele Marques und Iwan Bühler um einiges skulpturaler, aber auch glatter geraten. Hier finanzieren zudem erstmals zwei Wohntürme das Projekt. Den stärksten Punkt aber macht die Stadionarchitektur mit der Fassade aus goldfarbig eloxierten Aluminiumprofilen. Spektakulär ist auch der Gang, der Gastronomie und Toiletten fasst: Die goldene Gitterfassade neigt sich nach aussen, während die blaue Innenschale der Tribüne abgerundet ist.
Unspektakulär und inhaltslos
Schliesslich ein kurzer Exkurs nach Zürich. Die Namen der Gemeinschaft, die das neue Projekt «Ensemble» plant, tönen illuster: Pool, Caruso St John sowie Boltshauser Architekten. Ihr Entwurf aber bleibt flach und belanglos, ähnlich dem Thuner Stadion. Und weil auch am Letzigrund namhafte ArchitektInnen am Werk waren und der Bau überzeugt, sei hier ein für alle Mal abschliessend gesagt: ein schönes Leichtathletikstadion.
Architektonisch spannend wird es ab Frühjahr 2020 in Lausanne: Dort realisieren die BielerInnen :mlzd und Sollberger Bögli aktuell das Stade de la Tuilière. Es bleibt zu hoffen, dass die Visualisierungen das zeigen, was dereinst gebaut wird. Zu sehen ist da ein rechteckiges Volumen mit viel Glas und harten Kanten. An den vier Ecken schneiden die Architekten für die Eingänge ganze Stücke schräg weg. Diese Neigung übertragen sie auf die Tribünen, die hinter den Glasfassaden gut sichtbar sind und deren Untersicht an grosse, verkehrt herum platzierte Treppenanlagen erinnert.
Das Fazit aller Projekte zeigt: Das auf Rendite getrimmte Fussballgeschäft prägt auch die Schweizer Stadionarchitektur. Sie ist meist unspektakulär, inhaltslos und verpasst zu oft, das zu schaffen, was den Zauber des Spiels ausmacht – die packende Atmosphäre.
Lilia Glanzmann ist Redaktorin und Geschäftsleiterin beim Magazin «Hochparterre».