Im Affekt: Selber schuld!

Nr. 39 –

Es hätte ein gemütlicher Geburtstagsapéro werden sollen, als plötzlich die Bierbüchsen und -flaschen geflogen kamen: Das Schauspiel, das sich Ende August im Berner Lorrainequartier abspielte, war beängstigend. Auf den von der Polizei freigeräumten Strassen bewegte sich eine Horde biertrinkender, johlender Männer vorwärts: Fans der serbischen Fussballmannschaft Roter Stern Belgrad – berüchtigt für nationalistische und homophobe Gesinnung –, die sich für das Spiel gegen die Young Boys aufwärmten. Als sie die LGBTQ-Fahne am Café Kairo sahen, brüllten sie uns an und bewarfen uns mit Bierbüchsen. Der Hass, der uns entgegenschwappte, war erschütternd. Die Kinder weinten, wir erstarrten – durch Glück wurde niemand getroffen.

Letzte Woche erfuhren wir, dass wir selber die Schuld am Gewaltausbruch tragen: «Die Belgrader Fans sammelten sich ruhig und geordnet in der Stadt Bern und verhielten sich auch nach den Anweisungen der Kantonspolizei Bern. (…) Diese [die «Kairo»-Gäste] wussten nichts Besseres (…), als mittels Zeigen des Doppeladlers die Fans aufs Äusserste zu provozieren.» So zitiert der Gemeinderat die Polizei in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Grünes Bündnis / Junge Alternative, in der sie der Polizei Überforderung vorwirft. Selber schuld also. Der Doppeladler also – wobei niemand von unserer «Kairo»-Gesellschaft diesen machte. Und kein Wort zur LGBTQ-Fahne. Echt jetzt?

Auf Nachfrage hält der zuständige Gemeinderat Reto Nause (CVP) fest: «Möglicherweise war es die Fahne, möglicherweise war es auch die Provokation durch den Doppeladler – wobei Provokation natürlich nicht Gewalt legitimiert.» Immerhin. Sonst müssen wir beim nächsten Fanmarsch noch die Regenbogenfahne abhängen, damit sich die armen Fans nicht provoziert fühlen.

Passender Song zum Thema: «Sälber gschuld» von Baby Jail.