#digi: Digitale Konsensfindung
Können soziale Netzwerke und digitale Plattformen demokratische Prozesse unterstützen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken? Wohl eher nicht. Das Internet gilt als natürliches Habitat von Trollen, Fake News und Hate Speech. Polarisierung kennzeichnet die Topografie der digitalen Öffentlichkeit. Lösungs- und konsensorientierte Debatten haben Seltenheitswert.
Taiwan versucht es trotzdem. Dort gibt es seit der Sonnenblumenbewegung 2014 die digitale Plattform «vTaiwan», die aus einer ungewöhnlichen Kollaboration der Hackerorganisation «g0v» mit der Regierung entstand. «vTaiwan» gibt Bürgerinnen, NGOs und Parlamentariern die Möglichkeit, Probleme und vorgeschlagene Gesetze zu diskutieren und Lösungen auszuarbeiten. Statt dass sich TeilnehmerInnen Meinungen an den Kopf werfen, stellt die Plattform die verschiedenen Lager und Positionen grafisch dar. Dann dürfen alle ihre Vorschläge einbringen, um Mehrheiten und Konsens zu finden. Resultat: Mit der Zeit nähern sich die Lager inhaltlich und visuell an.
In den letzten Jahren fanden so verschiedene Lösungen ihren Weg in konkrete Gesetzesentwürfe. «vTaiwan» wirkt wie eine moderne, transparente Vernehmlassung. Auch für die Schweiz wäre so eine Plattform interessant, ist doch die Gesetzgebung stark von Lobbyismus geprägt und entsprechend undurchsichtig.
Natürlich gibt es Stolpersteine. «vTaiwan» erreicht auch in Taiwan zu wenige und tendenziell digitalaffine Menschen. Es drohen digitale Gräben und der Ausschluss von Menschen ohne Digitalkenntnisse. Nachhaltige Konsensbildung muss die ganze Bevölkerung einbinden – auch die migrantische. So ist auch der Anreiz, Positionen zu formulieren, die am meisten Unterstützung finden, entsprechend heikel: Er garantiert nicht, dass Minderheiten genügend Gehör finden. Und solange die digitale «Vernehmlassung» kein wirkliches Gewicht hat, bleibt es bei den üblichen Papiertigern.
Genug Haare aus der Suppe gefischt. Denn trotz allem zeigt «vTaiwan» eine Möglichkeit, wie sich politische Prozesse dank digitaler Tools wirklich neu denken lassen. Das Resultat ist vielleicht kein Prestigeprojekt wie das vom Bund vorangetriebene Projekt zur digitalen Stimmabgabe E-Voting. Im Gegensatz zu diesem dürfte es aber tatsächlich einen positiven Einfluss haben.