Ein Traum der Welt: Wütende Damen

Nr. 47 –

Annette Hug hat in China keine Weltwährung gefunden

«Das wird dann der D-Day sein», schreibt Niall Ferguson, Geschichtsprofessor an der Stanford-Universität, am 17. September in der NZZ. Das «Rennen um die Währungsführerschaft» könnten die USA nur gewinnen, wenn sie das Projekt Libra von Facebook vorantrieben. Der Grund für Fergusons Alarmstimmung ist die Tatsache, dass in China das Bezahlen über eine Social-Media-App bereits Standard ist. Sorge bereitet ihm, dass die chinesischen Konzerne Tencent und Alibaba in Ländern, in denen China seinen Einfluss festigt, nationale Kopien ihrer Zahlsysteme Wechat Pay und Alipay lancieren. Irgendwann, sieht Ferguson voraus, werden die unterschiedlichen Systeme kurzgeschlossen, eine internationale Währung entsteht. Chinesische Konzerne werden die Geldmenge steuern. Nationale Instanzen werden mit abgesägten Hosen dastehen. Vor allem der US-amerikanische Staat wird nicht mehr mächtig, nur noch verschuldet sein. Wenn Facebook nicht schneller ist.

Aber im Alltag von Schanghai scheint es, als würde Wechat Pay die chinesischen Geschäfte eher abschotten als öffnen. Man braucht nämlich ein chinesisches Bankkonto, um sich auf Wechat Geld hochzuladen. Für ein solches Bankkonto braucht man eine Aufenthaltsbewilligung. Also stehen die Reisenden blöd da in den Geschäften, wenn sie mit Geldnoten hantieren. Sie entwickeln eine tiefe Solidarität mit alten ChinesInnen, die das digitale Zahlen verweigern. Am liebsten sind mir Damen, die von Zugewanderten aus anderen chinesischen Provinzen abfällig als «alte Schanghai-Tanten» bezeichnet werden. Das schüttere Haar ist toupiert und gefärbt, leuchtend bunte Kleider und goldener Schmuck erinnern an die frühen achtziger Jahre, als sich China der Popmusik aus Taiwan, Filmen aus Hongkong und westlichen Paartänzen öffnete. Das Auftauchen aus den Schrecken der Kulturrevolution bleibt in der Mode dieser Damen spürbar. Und sie treten im Bewusstsein auf, für den Aufschwung Schanghais in den vergangenen vierzig Jahren persönlich verantwortlich zu sein. Kommt ihnen eine Beamtin oder ein Kassier frech, werden sie laut.

Für Reisende will Alipay nun eine Art temporären Zahlpass einführen. Ein paar Nächte im Hotel könnte man dann digital bezahlen. Da sei es weiterhin einfacher, höre ich, wenn chinesische FreundInnen etwas ausliehen. Sie schicken Geld auf das Wechat-Konto einer ausländischen Person, die ihnen denselben Betrag bar zurückgibt. Was die Möglichkeit eines Schattenhandels erahnen lässt: Wer zahlt wie viel für einen Wechat-Yuan? Wie wäre es, das digitale Geld mit Dollars oder Euros zu kaufen? Schon ist eine Währung geboren, die nicht mehr strikt an die Kontrolle der Chinesischen Volksbank gebunden ist. Diese Vorstellung sei ihnen ein Gräuel, geben Tencent und Alibaba regelmässig bekannt. Alles, was nach Kryptowährung klingt, lehnen sie ab. Ihre Zahlsysteme seien zu hundert Prozent an den Yuan Renminbi gebunden.

Auch an den Schaltern von China Mobile, dem grössten Mobilfunkanbieter, sind Seniorinnen und Ausländer unter sich. Alle andern erledigen ihre Anfragen online. Da mir als Weisser jedes Zeichen von Ungeduld übel ausgelegt würde, geniesse ich still den Wutanfall der Dame neben mir. Sie kann es nicht fassen, dass die Schalterangestellte besonders doofe Werbe-SMS nicht einfach stoppt.

Annette Hug ist Autorin in Zürich. Sie interessiert sich für Libra, weil ihr die bisherigen Möglichkeiten, international Geld zu überweisen, als kartellartig organisierte Abzocke erscheinen.