RebellInnenrätsel: Der trotzige Dandy

Nr. 4 –

Als Rebell der Empfindsamkeit war er einst ein Idol für die Schüchternen, die Unsicheren, die Androgynen. Empfindlich ist er geblieben, aber aufs Alter hin ist er in seiner eitlen Renitenz leider zum verbohrten reaktionären Idioten geworden.

«You’ve got a funny voice», so begrüsste ihn einst der blutjunge Gitarrist, mit dem er fünf Jahre lang ein ungemein prägendes Songschreiberduo bilden sollte. Aber nicht nur sein Gesang hatte immer etwas seltsam Affektiertes: Bei seinen Konzerten liess er damals gerne mal einen Blumenstrauss aus der Gesässtasche baumeln.

Seine Flamboyanz war eine Flucht: vor der Trostlosigkeit in Manchester, wo er sich als Arbeiterkind gefangen fühlt wie in einer stinkenden Achselhöhle. In der Schule macht ihn der Gestank von Schweinefleisch und fauligem Fisch früh zum militanten Vegetarier. Als Teenager entdeckt er den Glamrock, die erste Frau, für die er schwärmt, ist der Schlagzeuger der New York Dolls. Als Frontmann seiner eigenen Band unterläuft er später selber die Codes der Männlichkeit, und zwar ohne den Glitter und die Schminke seines einstigen Idols David Bowie. Ist er schwul, ist er hetero? Er will beides nicht sein, aber auch nichts dazwischen. Statt mit Exzessen flirtet er mit dem Zölibat.

Sonst gehört Bescheidenheit nicht zu seinen Zierden. Seine Arroganz war gefürchtet, legendär sind seine Fehden mit der britischen Poppresse, seit ihn diese wegen zweifelhafter Songzeilen zum Rassisten stempelte. Immer schon gefiel er sich in der Pose des chronisch Gekränkten: «Jetzt weiss ich, wie Jeanne d’Arc sich fühlte», sang er auf dem ersten Album seiner Band, die ihre Sympathie zu den einfachen Leuten schon im Namen trug.

Für die Royal Family hatte er schon damals nur Hass und Verachtung übrig, aber seine makaberste Fantasie galt dann der Premierministerin, die er auf seinem ersten Soloalbum unters Fallbeil wünschte. Sehr britisch auch, wie er sich in einem seiner schönsten Songs den Liebestod vorstellt: Wär das nicht romantisch, wenn wir von einem Doppeldeckerbus überfahren würden?

Wie heisst der Wegbereiter des Britpop, so stolz und so eitel, dass er seine Memoiren nur im ehrwürdigsten britischen Klassikerverlag publiziert haben wollte?

Wir fragten nach dem sechzigjährigen Sänger und Texter Steven Patrick Morrissey, genannt Morrissey. Als Frontmann der Band The Smiths bildete er mit dem Gitarristen Johnny Marr eine kurzlebige, aber ungemein produktive Partnerschaft. Ab 1982 schrieben sie zusammen innerhalb von gerade mal fünf Jahren siebzig Songs, darunter «The Queen Is Dead», «Bigmouth Strikes Again» oder «Shoplifters of the World Unite». Seit 1988 macht Morrissey solo weiter, über Premierministerin Thatcher schrieb er damals die Ballade «Margaret on the Guillotine». Seine Autobiografie ist 2013 bei Penguin Classics erschienen, Spekulationen über eine Wiedervereinigung der Smiths zerstreute er einst mit dem denkwürdigen Satz: «Lieber würde ich meine Hoden essen, und das will etwas heissen für einen Vegetarier.»