Auf allen Kanälen: Sex and Crime in der Landessprache
Ein neues Gerichtsurteil gegen die Onlineplattform «Rappler» wirft ein Schlaglicht auf die geteilte Medienlandschaft der Philippinen.
Was international Wellen schlug, war einem philippinischen Boulevardblatt kaum eine Notiz wert. Die JournalistInnen Maria Ressa und Reynaldo Santos jr. wurden am 15. Juni 2020 von einem Gericht in der philippinischen Hauptstadt Manila wegen Verleumdung verurteilt. Auch die WOZ hat am 18. Juni kurz darüber berichtet.
Seit Rodrigo Duterte 2016 die Philippinen regiert, sind Maria Ressa und die von ihr mitbegründete Onlineplattform «Rappler» mit einer Welle von Strafklagen konfrontiert. Menschenrechtsorganisationen sind sich einig, dass es sich um vorgeschobene Klagen gegen ein kritisches Medium handelt. Sie stehen in einer bedrohlichen Reihe: Bereits 2017 sah sich die Besitzerfamilie der bekanntesten Qualitätszeitung, des «Philippine Daily Inquirer», durch präsidiale Drohungen genötigt, ihre Anteile an den Inhaber eines Brauereikonzerns zu verkaufen, der Dutertes Wahlkampagne mitfinanziert hatte.
Qualität spricht Englisch
Diesen Frühling, mitten im Coronalockdown, hat der philippinische Kongress ein neues Antiterrorgesetz verabschiedet. Es bestraft unter anderem Onlineposts mit Gefängnis, die von den Strafverfolgungsbehörden als terroristisch eingestuft werden. Für diese Einschätzung lässt das Gesetz einen ungeheuer weiten Spielraum. Ebenfalls im Frühling 2020 ist dem grössten TV-Sender, ABS-CBN, die Lizenz entzogen worden. Ein weiterer Gerichtstermin von Maria Ressa ist da kein herausragendes Ereignis mehr. Dass sich aber auf dem Portal von «Abante», der grössten Boulevardzeitung im Grossraum Manila, keine Nachricht dazu findet, weist auf eine tiefer liegende Spaltung hin.
Die philippinische Medienlandschaft ist sprachlich zweigeteilt. In den Erstsprachen des Landes, zum Beispiel Tagalog, erscheinen nur sehr dünne Boulevardblätter, im Fernsehen gibts Realityshows und auf Klamauk getrimmte Talkshows. Die Nachrichtenbulletins konzentrieren sich auf Verbrechen und Sexskandale der lokalen Prominenz, immer wichtiger werden von ZuschauerInnen eingesandte Aufnahmen von Überwachungskameras.
Medien mit einem journalistischen Qualitätsanspruch produzieren auf Englisch, der ehemaligen Kolonialsprache. Die Plattform «Rappler» macht da keine Ausnahme. Nur sehr wenige Inhalte sind auf Filipino verfasst, wie Tagalog als zweite Nationalsprache heisst. Die Rubrik «AnimatED» nimmt das neue Antiterrorgesetz auf, eingeleitet von einer speziell produzierten kleinen Animation, als Teaser für die sozialen Medien. Dann folgt ein Artikel, der sich in lockerem Ton an ein Du richtet, an das potenzielle Opfer des Gesetzes. Sprachlich überlagert ein polemischer Ton die präzise Kritik am Gesetz. In seiner Form untermauert der Artikel die Annahme, die der medialen Spaltung zugrunde liegt: Englisch gilt als Sprache der Gebildeten, Tagalog als Umgangssprache der breiten Bevölkerung in und um Manila. Wenn sich Gebildete ans ganze Volk wenden, dann in einem anbiedernd-kumpelhaften oder belehrenden Ton.
Der Präsident als Klischee
Rodrigo Dutertes Popularität wird auch damit erklärt, dass er den pfäffischen Sprachduktus, den Angehörige der gebildeten Schichten bei öffentlichen Auftritten oft annehmen, durchbrochen hat. Fatalerweise erfüllt er aber genau das Klischee vom angeblich unpräzisen Tagalog und Visayan, wenn er seine raunenden Satzfetzen mit vulgärsten Witzen spickt. Auch Duterte befördert die fatale Trennung der Öffentlichkeiten, indem er das Labern saufender Männerrunden als Volkston zelebriert.
Eine traurige Annäherung an den Boulevard zeigt sich beim «Philippine Daily Inquirer», wo kritische Analysen zunehmend in die Kolumnen bekannter Intellektueller verbannt sind. Dagegen beschränken sich viele redaktionelle Artikel auf englische Übersetzungen der stundenlangen Pressekonferenzen Dutertes.
Diesen Stil kennen auch die LeserInnen des Boulevardblatts «Abante». Ein Artikel, der hier im Januar 2020 über Maria Ressa erschien, bezeichnet «Rappler» gleich im Titel als «Jukebox der CIA». Es folgen Zitate aus einem Interview, das Rodrigo Duterte dem Sender Russia Today gab: Maria Ressa sei eine Agentin des US-Geheimdiensts, behauptet der Staatspräsident. Einen Beleg dafür bringt er nicht. Gegen seine Verleumdungen schützt kein Gesetz.