Philippinen: Das Erbe der Diktatur

Nr. 27 –

Ferdinand Marcos Jr., der die Herrschaft seines Vaters als goldenes Zeitalter lobt, ist der neue Präsident der Philippinen. Seine Fans bezeichnen jegliche Kritik an ihm als Lüge.

Auf dem Roxas Boulevard zum Hafen von Manila stehen die Lastwagen täglich so dicht aneinander im Stau, dass sich selbst Mopedfahrer wie Marlon Lawis nicht mehr zwischen ihnen durchschlängeln können. Deshalb sei er auch etwas zu spät, entschuldigt sich Lawis, als er am aufgeschütteten Strand zwischen der US-Botschaft und dem schicken Jachthafen ankommt. Den Treffpunkt hat er gewählt, weil der künstliche Strand Teil des gigantischen Infrastrukturprojekts «Build, Build, Build» des scheidenden Präsidenten Rodrigo Duterte ist, das Lawis als grossen Erfolg sieht.

Der 24-jährige Blogger ist ein grosser Fan von Duterte – und vor allem auch des neuen Präsidenten Ferdinand Marcos Jr., der vor wenigen Tagen sein Amt angetreten hat. Mit seinen schwarzen Schienbeinschonern, der schwarzen Coronaschutzmaske und seinem ernsten Blick wirkt Lawis etwas martialisch. Auf seinem Youtube-Kanal Tropang Bisaya mit seinen 126 000 Follower:innen hat er während des Wahlkampfs kräftig die Werbetrommel für Marcos gerührt.

«Ist das nicht toll?»

Anfang Mai haben über dreissig Millionen Philippiner:innen Marcos Jr. zum Präsidenten und Sara Duterte – Tochter des Expräsidenten – zur Vizepräsidentin gewählt. Ihre grössten Fans finden die beiden unter den Jungen, die die Diktatur von Ferdinand Marcos – Vater des neuen Präsidenten – nicht mehr erlebt haben. Unter den 25- bis 44-Jährigen sind laut Umfragen 63 Prozent Anhänger:innen von Marcos Jr. Unter den 18- bis 24-Jährigen sind es gar 71 Prozent. Gewählt wurde der reiche Marcos zudem vor allem von Menschen in den städtischen Armutsvierteln und auf dem Land; dies, obwohl er ohne Programm in den Wahlkampf gezogen ist und sich auch geweigert hat, in Fernsehdebatten gegen seine Konkurrent:innen anzutreten.

Marcos’ Gegnerin Leni Robredo hingegen, die sich gegen Armut engagiert, punktete hauptsächlich im urbanen, akademischen Mittelstand und bei den Betroffenen von Dutertes Drogenkrieg. Bei Menschen wie Marian Domingo etwa, deren Ehemann und Sohn 2016 nur drei Monate nach Dutertes Amtsantritt als angebliche Drogenkriminelle von der Polizei erschossen wurden. «Ich will Gerechtigkeit», sagt die 48-Jährige, die als eines der wenigen Opfer des Drogenkriegs den Mut hatte, Anzeige zu erstatten. «Aber die wird es auch unter Marcos nicht geben.»

Der Sandstrand aus zermahlenem Dolomitgestein am Roxas Boulevard wurde im September 2020 mit viel Getöse eröffnet. Die für Ende Dezember desselben Jahres geplante definitive Fertigstellung verzögerte sich jedoch um ein Jahr: Der Taifun Ulysses hatte den neuen Strand wieder weggefegt. Danach war die Küste erneut mit Müll übersät – was nicht überraschte: Manilas Flüsse wie der Pasig River, die in die Bucht münden, sind stinkende Kloaken voller Dreck. Nun ist der Strand neu aufgeschüttet – bis er vom nächsten Taifun hinweggefegt wird.

«Ist das nicht toll?», sagt Lawis und weist auf die im Sonnenschein glitzernde Bucht. Die Zweifel von Umweltwissenschaftler:innen am ökologischen Nutzen des Strandes und die Kritik an den hohen Kosten lässt der Blogger nicht gelten; genauso wenig wie den Hinweis auf die umgerechnet 220 Milliarden Franken Schulden, die Dutertes Infrastrukturprogramm verursacht hat. «Allesamt Lügen», findet Lawis. «Ich war früher auch gegen Marcos», sagt er. In den sozialen Medien habe er dann die Wahrheit erfahren. «Wenn die Marcos wirklich so schlecht und korrupt wären, wie man sagt – dann wären sie doch im Gefängnis!»

Die Diktatorenwitwe Imelda Marcos, 93 Jahre alt, wurde 2018 wegen Korruption zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. «Weil sie so alt ist, werden die Haftbefehle aber nicht vollstreckt», klagt Emmanuel Amistad, Direktor der Menschenrechtsorganisation Task Force Detainees of the Philippines (TFDP), die auch vom Schweizer Hilfswerk Fastenaktion unterstützt wird. «Jeder Arme, der eine Mango stiehlt, kommt dagegen sofort ins Gefängnis.»

Marcos Jr. wurde gewählt, obwohl er 1999 wegen Steuerhinterziehung verurteilt worden war und die Schuld bis heute nicht bezahlt hat. Diese ist samt Zinsen und Mahngebühren inzwischen auf umgerechnet 3,5 Milliarden Franken angestiegen. «Alles Lügen», findet Lawis auch hier – genau wie die von Amnesty International dokumentierten 32 000 ermordeten Dissident:innen unter der Marcos-Diktatur sowie die 70 000 inhaftierten und oft gefolterten Regimegegner:innen. Auch die vom Marcos-Clan geraubten öffentlichen Gelder in Milliardenhöhe: eine Lüge.

Bei der Aufklärung versagt

Der junge Marcos preist die Diktatur seines Vaters als «goldenes Zeitalter» und begann schon vor Jahren, in den sozialen Medien mithilfe von bezahlten Trollen die Geschichte umzuschreiben. Zusammen mit Sara Duterte predigte er im Wahlkampf die «Versöhnung». «Das Konzept der Versöhnung ist den mehrheitlich katholischen Philippinern vertraut», sagt Jayeel Cornelio, Religionsexperte an der Ateneo de Manila University. «Voraussetzung für Versöhnung ist aber Reue.» Und diese fehle beim jungen Marcos.

Mit der Ernennung von Vizepräsidentin Duterte zur Bildungsministerin löste Marcos die Angst aus, dass er Bibliotheken sowie Archive von negativen Berichten über das Regime seines Vaters säubern lassen könnte. TFDP-Direktor Emmanuel Amistad sagt, dass die NGO ihr Archiv bereits in ein sicheres Versteck gebracht habe.

Einen Tag vor Marcos’ Amtsantritt verfügte die Regierung die Einstellung des regierungskritischen Onlineportals «Rappler» der Friedensnobelpreisträgerin Maria Ressa. «Dutertes Abschiedsgeschenk an seinen Nachfolger», sagt Jonathan de Santos, Vorsitzender der Nationalen Union der Journalisten der Philippinen (NUJP). Während Dutertes Präsidentschaft wurden laut NUJP mindestens 22 Journalist:innen ermordet. Im Pressefreiheitsranking von Reporter ohne Grenzen liegen die Philippinen auf Platz 138 von 180.

Aurora Parong kämpft für ein paar Sekunden mit den Tränen, bevor sie über ihre Erlebnisse während der Diktatur von Ferdinand Marcos zu erzählen beginnt. Einer ihrer Brüder wurde für zwei Jahre ins Gefängnis gesteckt, ein anderer wurde ermordet. «Seine Leiche wurde im Strassengraben gefunden», erinnert sich die Ärztin, die inzwischen 71 Jahre alt ist.

Marlon Lawis, Blogger
Marlon Lawis, Blogger
Aurora Parong, Ärztin
Aurora Parong, Ärztin

Weil sie Oppositionelle ärztlich behandelt hatte, wurde auch sie wegen «Aufruhr» verhaftet. «Ich sass eineinhalb Jahre ohne Haftbefehl in Einzelhaft», sagt die langjährige Menschenrechtsaktivistin Parong. «Das war mentale Folter.» Über die Begeisterung der jüngeren Generationen für Marcos ist sie erschüttert. Selbstkritisch über sich selbst und die anderen Überlebenden der Diktatur ihrer Generation sagt sie aber auch: «Wir haben bei der Aufklärung versagt.» Aufgeben kommt für Parong aber nicht infrage.