Im Affekt: Zwanghaft zwischen Balkonpflanzen

Nr. 29 –

Um sich als Teenie am Lagerfeuer mit Dosenbier zu betrinken und Didgeridoo zu spielen, sind sie ja ganz nett, die Steinkreise im Säuliamt oder die mächtigen Findlinge im Wald hinter Fällanden. Aber hier Ferien machen, nein danke! Man könnte die touristischen Täuschungen im «Ferienkatalog» des «Tages-Anzeigers» ja auch leicht als Witz entlarven, würden wir nicht in einer Zeit leben, in der Bundesrat Ueli Maurer vors Parlament tritt und befiehlt: «Machen Sie Ferien in der Schweiz!», und auch noch wacker Applaus bekommt. Nun denn, dachte sich die fleissige Lokalredaktion: Magische Kultur- oder Naturruinen wie in Stonehenge oder Grönland – finden Sie alles in ZVV-Distanz!

Was sollen wir denn mit der freien Sommerzeit anstellen, so eingeklemmt zwischen Risikogebieten und Balkonpflanzen? Die Lage ist ausweglos – jedenfalls scheint es so, wenn man dem Historiker Valentin Groebner kürzlich im «Echo der Zeit» zugehört hat. Groebner ist Autor von «Ferienmüde», einem Buch über die «leicht zwanghaften Elemente dieser grossen Freiheit» namens Tourismus. Mit 25 lebe man noch gut mit der Illusion, man könne auf Reisen gehen und verändert zurückkehren, doch mit der Zeit werde einem bewusst: Jede Reise ist nur eine weitere Schleife durch die eigene Erinnerung. Sein Vorschlag: einfach mal aufhören, mit offenem Ausgang.

Groebners Grundgedanke ist klug: Die Sehnsucht nach pittoresken Landschaften und intakten rustikalen Siedlungen hat viel mit persönlicher und kollektiver Vergangenheit zu tun (oder mit dem «Ferienkatalog» gesprochen: lieber schwedische Landidylle als Schwamendingen, lieber Seidenstrasse als Züri Oberland). Wenn Sie es hingegen lieber aufgeklärt haben, also gar nicht erst versuchen wollen, in Hadlikon einen Piratenschatz zu heben oder Ihre Privilegien mit Freiheit zu verwechseln, können Sie sich ja einfach mal zu Ihren Balkonpflanzen setzen und sich diese Frage wie ein Glace auf der Zunge zergehen lassen: Wie sähe ein Tourismus aus, der in die Zukunft reist?

Kleiner Tipp: Ihre Lösung sollte ohne «Elon Musk» und «Mars» auskommen.