Im Affekt: Sauberes Kernland, schmutziges Umland

Nr. 32 –

Gibt es das, einen freudschen Statistikverschreiber? Jedenfalls vermutet man hinter den kreuzfalschen Zahlen, die das Bundesamt für Gesundheit in den letzten zwei Juliwochen zu den Covid-19-Ansteckungen herausgegeben hat, mehr als Zufall. Ende vergangener Woche hiess es zunächst, am meisten Leute hätten sich in Clubs angesteckt, zwei Tage später wurde korrigiert: Tatsächlich ist das Nachtleben in der Statistik vernachlässigbar, am meisten Ansteckungen gab es zwischen Familienmitgliedern. «Die Familie ist der Motor der zweiten Welle», die Schlagzeile hätte auch seltsam ausgesehen. Wer würde nicht zuerst das sorglose Partyvolk verdächtigen.

Das Debakel ist perfekt: Die Clubs sind wütend, weil sie in der angespannten Situation sowieso schon unter Generalverdacht stehen, das Bundesamt, das uns in dieser Krise doch Sicherheit vermitteln sollte, hat sich schon wieder einen peinlichen Patzer erlaubt, die dünne und unvollständige Datengrundlage ist auch in der korrigierten Version mässig hilfreich, und die WutbürgerInnen sind schon wieder auf hundertachtzig.

In den Kommentarspalten der Newsportale herrscht Verwirrung: Einerseits gibt es diejenigen, die die Inkompetenz des staatlichen Krisenmanagements schon lange erkannt haben, andererseits jene, die alles hassen, was nach Spass aussieht. Also was denn nun: auf den Staat pfeifen oder die nachtaktiven Sündenpfuhle schliessen? Natürlich findet der Schweizer, die Schweizerin einen gäbigen Weg, die Aufreger elegant zu verknüpfen: Man macht daraus einfach einen Migrationsdiskurs. «Die Ansteckung kommt von aussen …», warnt ein Kommentar, denn wo müssen die Viren herkommen, die innerhalb der Familie übertragen werden? Aus den Clubs natürlich! Die Familie als sauberes Kernland, das Nachtleben als bedrohliches Umland, aus dem der virale Schmutz eindringt. Ordnung muss sein, egal wie primitiv konstruiert sie ist.

Geschäftsidee im Fall einer Maskenpflicht am Familientisch: durchs Röhrli aufsaugbares Älplermagronenpüree.