Im Affekt: Alle in die eigene Bubble

Nr. 44 –

An Hygiene hatten wir damals im Zürcher Volkshaus natürlich nicht gedacht, als Wayne Coyne durch eine kleine Öffnung in eine Blase aus durchsichtigem Plastik schlüpfte und vergnügt über die Menge kugelte, während die Band auf der Bühne weiterspielte. Der Sänger der Flaming Lips hat ja eine Vorliebe für dieses kindlich-verspielte Bühnenaccessoire, er hat vergangenes Jahr sogar seiner langjährigen Freundin in einer solchen Luftkugel das Jawort gegeben. Und jetzt, da Konzerte mit Publikum durch das Abstandsgebot nahezu unmöglich geworden sind, kommen die Flaming Lips mit dieser Idee: In ihrer Heimatstadt Oklahoma City spielte die Band kürzlich ein Konzert, während dessen nicht nur die Musiker, sondern auch alle im Publikum in ihrer eigenen Plastikbubble eingepackt waren: bezaubernd und gleichzeitig total virensicher. Was für eine verrückte Zeit, wenn die überbordende psychedelische Vorstellungskraft der Flaming Lips plötzlich als vernünftige Antwort auf ein komplexes organisatorisches Problem erscheint!

Derweil versuchte sich Billie Eilish noch einmal am Format des Streamingkonzerts. Ein Ersatz für ein kreischendes Stadion war das kaum und für ihre jungen Fans mit dreissig Dollar kein günstiger Spass. Aber immerhin: Viel überzeugender wird das digitale Konzerterlebnis wohl nicht mehr. Statt einfach ein Bühnensetting abzufilmen, sang Eilish vor wechselnden animierten Hintergrundbildern; fürs Gemeinschaftsgefühl konnten ihre Fans sich sogar auf einer eigens eingerichteten Plattform austauschen, und einige von ihnen wurden zwischendurch in den Stream eingeblendet.

Die Lage für die Livekultur ist ernst. In der Schweiz haben unzählige kleine KonzertveranstalterInnen in den letzten Wochen alles Mögliche getan, um trotz Maskenpflicht, bestuhlter Säle oder abgetrennter Konsumationszonen wenigstens ein paar ausgehungerte MusikerInnen auftreten zu lassen. Vergessen wir sie nicht, wenn wir uns überlegen, wie wir durch den Winter kommen.

Das Prinzip «Bubblekonzert» findet sich auf dem neuen Flaming-Lips-Album auch zur Songzeile verdichtet: «Mutter, ich habe LSD genommen … Jetzt sehe ich die Traurigkeit in der Welt.»