RebellInnenrätsel: Die exzessive Enthaupterin
«Ich werde von jetzt an meinem Bewusstsein gemäss leben … Ganz bestimmt verabscheue ich sie alle. Ich fühle mich auf entsetzliche und herrliche Weise allein.» So schrieb die Schriftstellerin, deren Werk und Denken bestürzend fragmentarisch geblieben ist, über sich selbst als Siebzehnjährige, als die Hälfte ihres Lebens bereits vorbei war. Am Anfang des letzten Jahrhunderts in Paris geboren, nimmt ihr Leben schnell mehrere tragische Wendungen. Der Vater fällt im Ersten Weltkrieg, sie selbst erkrankt an Tuberkulose und wird von einem Priester missbraucht, der im Elternhaus ein und aus geht. In der Konsequenz löst sie sich vom katholischen Glauben und beginnt zu schreiben, «ohne Rücksicht auf Normalität».
Sie lernt die ersten der Männer kennen und auch lieben, in deren Schatten ihr Werk und ihr Leben fortan stehen werden: Louis Aragon, Luis Buñuel, Léon Blum und den deutschen Arzt und Schriftsteller Eduard Trautner, mit dem sie in Berlin zusammenlebt und der sie in die Welt der extremen sexuellen Praktiken einführt. Sie lernt Russisch, wird in Moskau die Geliebte des kommunistischen Schriftstellers Boris Pilnjak und, zurück in Paris, jene von Boris Souvarine, einem Mitgründer der Kommunistischen Partei Frankreichs. Das Politische – feministisch, antibürgerlich, antikolonial – findet Eingang in ihr Schreiben, allerdings in extrem poetisierter und fragmentarischer Form: «Die Zeit ist nicht diese grauhaarige und geifernde Greisin, sie ist eine kraftstrotzende Frau, sie mäht die Köpfe ab.»
So exzessiv, wie sie lebt – politisch, sexuell, todessehnsüchtig –, muss sie fast zwangsweise auf jenen Philosophen treffen, mit dem sie den Rest ihres kurzen Lebens verbringen wird und den sie zu einer seiner transgressiven Novellen inspiriert. Zusammen beteiligen sie sich am Cercle communiste démocratique und an der antifaschistisch-antiautoritären Geheimgesellschaft Acéphale («ohne Kopf»), der auch Michel Leiris, Walter Benjamin und Jacques Lacan angehören. Kurz vor dem Tod reist sie noch mehrmals durch Europa und besucht wiederholt das Grab des Marquis de Sade, von dessen Werk sie tief bewegt war.
Wer ist die junge Frau, die «nicht das Leben, sondern den Tod» bewohnt hatte und die das bekannteste ihrer Pseudonyme nach dem Namen der unerreichbaren Geliebten Petrarcas auswählte?
Wir fragten nach Colette Peignot (1903–1938), deren Schriften unter dem Pseudonym Laure erst 37 Jahre nach ihrem Tod veröffentlicht wurden – vor allem dank des Einsatzes von Autorinnen wie Simone de Beauvoir und Marguerite Duras, die in Laure ihre geheime Ahnherrin sahen. Auch der Einfluss, den sie insbesondere auf ihren letzten Gefährten Georges Bataille ausübte, war beträchtlich. Der (Anti-)Philosoph der Grenzüberschreitung und des Exzesses war für die Nachwirkung Laures von grösster Bedeutung, indem er schon früh im Geheimen ihre Texte veröffentlichte und sie als Inspiration für seine Novelle «Das Blau des Himmels» verwendete. Laures gesammelte «Schriften» sind 1980 bei Matthes und Seitz auf Deutsch erschienen.