Im Affekt: 2020 plattwalzen!

Nr. 45 –

Fühlen Sie sich dieses Jahr manchmal auch, als wären Sie auf dem falschen Kanal hängen geblieben? Oder gar wie ans falsche Kamel gekettet? Spüren Sie ihn auch, den Wahnsinn in der Hirnrinde? Wobei – man kann diesen Text eigentlich gar nicht zitieren, weil er nur dann genau richtig klingt, wenn ihn H. P. Baxxter, der Schreihals der deutschen Trash-Techno-Truppe Scooter, in akzentbeladenem Englisch und aufdringlicher Heiterkeit proklamiert, wenn darunter eine vulgäre Bassline läuft und darüber giftige, melodische Fanfaren, wenn es also klingt wie Schlager auf Crystal Meth. Scooter haben es jedenfalls geschafft – sie haben die Hymne erschaffen, die dieses düstere, monströse Jahr verdient: «Fck 2020».

So einfach ist das gar nicht, wenn man an «Hoffnung» denkt, den Song, den Tocotronic im April mit zugehörigem Video veröffentlichten. Darin sind hübsche Bilder in Schwarzweiss von menschenleeren Plätzen zwischen New York und Rom zu sehen, es erschallen melancholische Klänge und bedeutungsschwere Worte: «In jedem Ton liegt eine Hoffnung, auf einen neuen Zusammenhang». Sich in diese kultivierte Hoffnung versenken, während es draussen tobt? Nein, danke!

Zur Kultur haben Scooter ja ein ambivalentes Verhältnis – diese Hirnrinde in «Fck 2020» etwa, «insane in the membrane», vielleicht ein Zitat der Rapper von Cypress Hill? Egal! H. P. Baxxter, der auch schon Thomas Bernhard zerlegt hat (das Hörbuch ist auf Youtube zu hören), walzt Bedeutung platt wie ein Partybulldozer. So auch die Melancholie, die bei «Fck 2020» durchaus noch mitschwingt, wenn im Hintergrund der bei Scooter-Songs übliche Stadionchor mitgrölt; hier klingt er wie ein nostalgisches Echo. Oder wenn im Video zum Song ein mit Flammenwerfern bestückter Scooter-Truck durch eine leere Stadt fährt, vorbei an einem geschlossenen Club. H. P. Baxxter hält sich nicht auf und schreitet voran: «First we save the rave, then we save the world!», «We got the power!», «Fuck 2020!»

Scooter haben übrigens vor einem Jahr schon alles kommen sehen, als sie «God Save the Rave» sangen. Da haben wir noch gelacht.