RebellInnenrätsel: Der perverse Avantgardist

Nr. 4 –

Er habe nichts gegen «small town America», sagte der Gesuchte einmal, nur sei das halt keine geeignete Umgebung, wenn man solche Dinge machen wolle wie er. Dass mit seinem Umfeld etwas nicht stimmte, merkte er schon als kleiner Junge, als er mit den Gasmasken seines Vaters, der in einer Giftgasfabrik arbeitete, Astronaut spielte. Von seinem wachsenden Interesse für Musik wollten die Eltern nichts wissen, und auch sonst schien hier niemand einen Sinn für grosse Kunst zu haben. Wieso gab es im lokalen, von einem Weissen geführten Plattenladen keine Rhythm-and-Blues-Platten zu kaufen? Wieso mochte niemand die seltsame, furchteinflössende Musik des Komponisten Edgard Varèse?

Perkussion beim Publikumsliebling Mozart, das hiess: ganz lange warten und dann einmal auf den Triangel schlagen. Varèse dagegen hatte ein aufregendes Stück für dreizehn Schlagzeuge komponiert, das den jungen Mann dazu brachte, sich das Schlagzeugspiel beizubringen und eine Band zu gründen. Dass darin auch Schwarze spielten, empfand man in der kalifornischen Provinzstadt als Bedrohung. So war es eher die bornierte Obrigkeit, die ihn in die Rebellenrolle drängte, als ein ausgeprägter Wunsch, sich mit dem System anzulegen. Schon in jungen Jahren kam er für sechs Monate ins Gefängnis, weil ein Ermittler ihn in eine Falle gelockt hatte – den Auftrag, ein pornografisches Audiotape aufzunehmen, hatte der damals als Tontechniker Tätige dankend angenommen.

Die eigenwillige Welt, die er in seiner Musik kreierte, bewegte sich spielend zwischen groteskem Theater, Rock ’n’ Roll mit ausgeprägtem Bewusstsein für dessen Schwarze Wurzeln, zeitgenössischer Klassik und dreistem Humor. Gesellschaftskritik klang bei ihm zum Beispiel wie in seinem Stück über einen «gut aussehenden Hurensohn», der nach einer sexuellen Begegnung mit einer Lesbe seine Homosexualität und seine Liebe für Urinspiele entdeckt. Einen zweiten Hit landete er ganz unverhofft; das Stück entstand mit seiner vierzehnjährigen Tochter, die er nach einem Himmelskörper benannt und wegen seiner Arbeitswut sträflich vernachlässigt hatte.

Wer ist der Nachkomme italienischer EinwanderInnen, der seine Schlagzeuger auf der Bühne lustige Rollen wie einen Teufel mit Vorliebe für Bier und grossbusige Frauen oder eine sexuell erregte Robbe spielen liess?

Wir suchten nach dem Musiker und Komponisten Frank Zappa. Mit seiner Musik, die sich Einteilungen wie Unterhaltung/Avantgarde oder Schwarz/weiss entzog, mit innovativen Aufnahmetechniken und dadaistischen Liveshows erschütterte er ab den sechziger Jahren die Grundfesten der Popkultur. Er legte sich mit der Musikindustrie an, bekämpfte etwa die Zensur im Namen des angeblichen Jugendschutzes, und verachtete Hippies, die sich lieber zudröhnten, als sich für die ökonomischen und rechtlichen Hintergründe ihrer Kunst zu interessieren. Zappa veröffentlichte zu Lebzeiten 62 Alben; seit er 1993 mit 52 an Krebs starb, erschienen unzählige weitere aus seinem schier unerschöpflichen Archiv.