LeserInnenbriefe: Umstrittene Initiativen
«Pestizidinitiativen: Nein, Bio Suisse spinnt nicht», WOZ Nr. 16/2021
Wir gehen wichtigen Abstimmungen entgegen, die Schlagworte, die Schwarzweissmalerei, die Verunglimpfungen, Gehässigkeiten, aber auch die Gefälligkeitsartikel und -sendungen nehmen zu. Beispiel ist der «Kassensturz» mit seiner Verleumdung der Biobauernmehrheit wegen des Neins zur Trinkwasserinitiative (TWI).
Wohltuend differenziert und couragiert hebt sich da die WOZ mit ihrem Artikel zu den Pestizidinitiativen ab. In Umweltschutz- und KonsumentInnenkreisen gilt man gegenwärtig als Verräter an der guten Sache, wenn man nur schon differenziert argumentiert und einige Schwächen einer Initiative erwähnt. Das erlebe ich als Kritiker der TWI am eigenen Leib, obwohl mich Bekannte «lebenslänglichen Umweltaktiven» nennen. Als pensionierter Biolandbauberater und genossenschaftlicher Biovermarkter meine ich, genug Erfahrung und Distanz zu haben, um auf die Mängel der Initiative hinweisen zu dürfen: Es sind keine flankierenden Massnahmen für die Importe und keine Verbote für Pestizide vorgesehen. Der Druck zum Pestizidverzicht kommt bloss indirekt durch die wegfallenden Direktzahlungen und ist entsprechend ausgerechnet für die intensiven Gemüse-, Obst- und Weinbaubetriebe gering (die Direktzahlungen basieren auf den Flächen und nicht auf der Produktion)!
Je nach Verhalten der Konsumentenschaft ist es möglich, dass unter dem Strich ökologisch sogar ein Minus resultiert. Und bisher war es ein Dauerchrampf, den Biokonsum innert 25 Jahren nur schon von 5 auf 15 Prozent zu steigern. Ohne zuverlässige Nachfrage kann es sich kaum ein Bauer leisten, auf Bio umzustellen, auch mit Direktzahlungen (DZ) nicht. Bei der TWI kommt für die meisten Biobauern erschwerend hinzu, dass laut Initiativtext nur so viel Futter zur Verfügung steht, wie der eigene Betrieb hergibt, und dass bei DZ-Bezug die Pestizide generell verboten sind, also auch die biologischen Pflanzenschutzmittel. Es ist unredlich, wenn jetzt plötzlich sogar die Initiantin durchblicken lässt, so, wie es im Initiativtext stehe, sei es dann nicht gemeint.
Viel klarer ist die Sache bei der Pestizidinitiative. Dort gibt es ein generelles Verbot für Pestizide – aber nur für die synthetischen, also nicht für die biologischen. Und zusätzlich gibt es ein Importverbot für Produkte, die mit nichtbiologischen Mitteln erzeugt wurden. Das ist radikaler, tut aber allen, die bei der TWI billig ausweichen können (halt auch die KonsumentInnen), viel mehr weh. Mit der Umsetzung der Pestizidinitiative ist die positive Umwelt- und Trinkwasserwirkung garantiert. Das müssten sich nun wirklich gerade auch die lautesten Kritiker der Bio-Suisse-Haltung gut überlegen. Zur radikaleren Initiative haben die Biobauern trotz aller Anfeindungen der konventionellen Agrarlobby von Anfang an Ja gesagt.
Hans-Ruedi Schmutz, Seedorf BE
Der Kommentar von Bettina Dyttrich zu Bio Suisse und Trinkwasserinitiative (TWI) ist eine Wohltat! Hoffentlich bringt er auch die Bioromantiker, die sich von einem sympathisch klingenden Titel blenden lassen, zu einem Sinneswandel. Zu denken geben müsste ja auch, dass die Pro-Kampagne hauptsächlich von GLP- und FDP-Leuten getragen wird. Also von Kreisen, die sich dauernd abschätzig und negativ zum Bauernstand äussern und diesen nach neoliberaler Manier à la Avenir Suisse gleich abschaffen möchten.
Hans Wittwer, Bern
Die Artikel von Bettina Dyttrich sind meiner Meinung nach kurzsichtig. Sie werden der Situation nicht gerecht. Es geht darum, dass wir unser Trinkwasser weiterhin geniessen können. Wenn Herr Parmelin unser sauberes Trinkwasser lobt, hat er offenbar noch nie mit den vielen Leuten in den Dörfern gesprochen, die über mehrere Tage das Trinkwasser nicht gebrauchen konnten, weil es verunreinigt war.
Nein, Bio Suisse spinnt nicht. Auch ist richtig, dass die Biobauern der ersten Stunde Pioniere waren und Visionen hatten. Das ist aber Jahre her. Inzwischen haben viele Bauern gemerkt, dass mit Bioprodukten mehr Geld zu verdienen ist. Bio ist für sie ein Geschäftsmodell und hat leider wenig mit Haltung und Sorge um die Natur zu tun. Bio Suisse setzt sich knallhart für die Erhaltung ihrer Privilegien ein, dazu gehört unter anderem der Milchpreis.
Deshalb zweifle ich auch sehr daran, dass es nur darum geht, wie Gegner und Befürworter der Trinkwasserinitiative die gemeinsamen Ziele erreichen, nämlich einen schonenden Umgang mit der Natur und eine anständige Tierhaltung.
Bio Suisse setzt klar auf ihre Vorteile, und bisher hat mir keines ihrer Argumente eingeleuchtet. Ausser, was der Präsident von Bio Suisse im «Kassensturz» vertrat: dass die Milchpreise fallen würden, wenn noch mehr Bauern ihre Höfe auf Bio umstellen würden. Und wo bitte ist da die Sorge ums Wasser, um die Böden? Und wo bitte sind die Probleme mit der prophylaktischen Behandlung der Kälber mit Antibiotika? Da wird es bei mir wirklich emotional! Wieso kann sich Bio Suisse nicht über Zuwachs im Biolandbau freuen und seine Energie für den Erhalt der Preise einsetzen?
Iris Goensch, Walzenhausen
Zu Recht legt Bettina Dyttrich dar, dass pestizidfreie Produktion aufwendiger ist als konventionelle und demzufolge zu höheren KonsumentInnenpreisen führt. Aber: Entspricht dieses Preissystem denn auch der Kostenwahrheit? Wer trägt die Folgekosten, die der Pestizid- und der hohe Stickstoffeintrag infolge der Futtermittelimporte verursachen? Wer trägt die Kosten für die kostspielige Aufbereitung des Trinkwassers, die es in naher und fernerer Zukunft an manchen Orten im schweizerischen Mittelland brauchen wird, um weiterhin bedenkenlos Hahnenwasser trinken zu können? Ist das heutige System – gesunde Bioprodukte für jene, die es sich leisten können, und konventionelle, sprich mittels Pestizideinsatz produzierte Lebensmittel für die unteren Einkommensschichten – gerecht und zukunftstauglich?
Bei allem Respekt gegenüber der jahrelangen, konsequenten Arbeit von Bio Suisse: Den ablehnenden Entscheid des Vorstands und der Delegiertenversammlung zur Trinkwasserinitiative kann ich nicht nachvollziehen. Gibt man sich mit dem bisher Erreichten zufrieden, und soll es jetzt einzig darum gehen, den erkämpften Biomarkt zu verteidigen?
Unzählige Biobäuerinnen und -bauern, in der Schweiz und weltweit, haben im Verlauf der letzten Jahre und Jahrzehnte aus Überzeugung die Umstellung gewagt und haben es bewiesen: Nahrungsmittel produzieren ohne den Einsatz von Pestiziden ist möglich – und sie haben damit auch wirtschaftlichen Erfolg.
Warum nicht als Bio- und KonsumentInnenorganisationen konsequent und entschlossen das Ziel verfolgen, dass Nahrungsmittel nicht nur landesweit, sondern überall auf der Welt biologisch produziert werden? Gift gehört nicht in den Boden, weder in der Schweiz noch in Indien noch in Brasilien. Die Konsequenzen sind zu verheerend. Pestizide haben nichts verloren, wo es ums Leben geht: in unseren Böden, im Wasser, in den Lebensmitteln. Ein entschlossenes Ja für die beiden Initiativen ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.
Karl Heuberger, Landwirt, Hosenruck
Es ist immer gut, eigene Positionen kritisch zu hinterfragen, und etwas Provokation würzt unser Leben. Trotzdem: Die Artikel von Bettina Dyttrich beginnen langsam zu nerven. Sie porträtierte Bergbauern, die Angst vor dem Wolf haben und eine strengere Regulierung wünschten. Dabei vergass sie zu schildern, dass es sehr wohl gute Gründe gibt, diese Tiere streng zu schützen. Und nun bläst sie ins Horn derjenigen Biolandwirtschaft, die aus Angst vor Einkommenseinbussen die Trinkwasserinitiative ablehnt. Seit wann stellt sich die WOZ auf die Seite derer, die Angst vor dringend notwendigen Veränderungen haben? Ich wünschte mir von der Autorin Berichte über Visionen und mutige Lösungsansätze, statt Standpunkte des Mittelmasses auszubreiten, die wir zur Genüge kennen.
Andy Schären, Basel