Diesseits von Gut und Böse: Auf die nächsten 500!

Nr. 20 –

Vier Jahre sind vergangen, seit ich öffentlich gelobte, einem Vorurteil abzuschwören: Bis zur 400. Ausgabe hatte ich nämlich geglaubt, das Strassenmagazin «Surprise» sei zwar ein sinnvolles Projekt (siehe dazu WOZ Nr. 22/2017 ), aber eigentlich keine Zeitung für mich. Ich irrte!

Morgen erscheint die 500. Ausgabe, und alle 99 Nummern, die es dazwischen gab, habe ich gelesen – sicher nicht jedes Wort, aber viele davon. Für die StrassenverkäuferInnen – Menschen, die erwerbslos sind, Sozialhilfe oder eine IV-Rente beziehen – war die Coronazeit besonders schwierig. Zu Beginn der Pandemie durften sie nicht verkaufen, und später, als es mit Schutzmassnahmen wieder erlaubt war, kreuzten weniger KundInnen ihren Weg. Weil ich auch sonst nur unregelmässig an Verkaufsstellen vorbeikomme, habe ich ein Abo.

Das Projekt «Surprise» zeichnet sich durch eine rundum politische Haltung aus und ist mehr als eine Zeitung. Weder das Verkaufsmodell noch die journalistisch sorgfältige Ausrichtung des Magazins sind Ausdruck almosenverteilender Wohltätigkeit. Soziale Probleme wie Obdachlosigkeit, Armut, Ausgegrenztheit und deren Ursachen werden immer im gesellschaftlichen Kontext gesehen und erklärt.

Inhaltliche Schwerpunkte, wie kürzlich «20 Jahre Sozialabbau» (Nr. 496), sind scharfsichtig und klug. Doch die klare Haltung ärgert auch manche, wie LeserInnenbriefe in der aktuellen Nummer zeigen: Die MacherInnen verbreiteten «ungehemmt ihre extrem linken Meinungen und verunglimpfen alle Andersdenkenden»; die Verkaufenden würden ausgebeutet und «erregten das Mitleid der Einkaufenden», ohne zu verstehen, was sie verkauften. Man bringe doch besser «hochwertige, kulturelle, geschichtliche oder landschaftliche Themen, die spannend und nicht politisch sind, dann gibt es ganz bestimmt mehr Käufer».

Mich und sicher viele andere gäbe es dann allerdings nicht mehr.