Im Affekt: Wissenschaft kapert Boulevard

Nr. 22 –

Kürzlich sorgte eine linke Politikerin, die zur «Blattkritik» in der WOZ-Redaktionssitzung geladen war, für betretene Gesichter: Es sei doch so was von überholt, noch immer auf die Unabhängigkeit linker Medien vis-à-vis linker Politik zu pochen – wir müssten zusammenarbeiten! Nicht, dass sie mit dieser Forderung die Büchse der Pandora geöffnet hätte – demokratiepolitisch ist die vierte Gewalt im Staat schon länger unter Beschuss. Und das weniger mit scharfer Munition denn mit Weichspüler: Journalistische Ausbildungsstätten verwaschen Journalismus und PR – pardon, Kommunikation – mittlerweile bis zur Unkenntlichkeit.

Eine neue Stufe dieses Whitewashings haben am 20. Mai die ETH Lausanne (EPFL) und der «Blick» eingeläutet. Die Hochschule verschafft der Zeitung «Zugang zu den journalistischen Arbeiten der EPFL» und greift dem Wissenschaftsjournalismus mit Kolumnen von ProfessorInnen unter die Arme. Als hauten die Kommunikationsstellen der ETH ihre Forschungsresultate der Öffentlichkeit nicht eh schon im Overdrive um die Ohren. JournalistInnen stehen da für EPFL-Präsident und «Blick»-Kolumnist Martin Vetterli offenbar eher im Weg: «Forschende müssen den Dialog mit der Öffentlichkeit über wissenschaftliche und technologische Themen führen», umschreibt er sein Rollenverständnis. In der Formulierung seiner Medienstelle wird der «Blick» schlicht zum «news outlet» für EPFL-Publikationen.

Michel Jeanneret, Chefredaktor von «Blick Romandie», hat damit kein Problem – er sieht das als Ausbau des redaktionellen Angebots. Als Wissenschaftsjournalistin reibt man sich die Augen. Fände es Jeanneret ebenso akzeptabel, wenn eine Grossbank die Texte für das Wirtschaftsressort seiner Zeitung schreiben würde? Der Vergleich stammt vom Schweizer Klub für Wissenschaftsjournalismus (SKWJ). «Es würde uns sehr freuen, wenn der Blick tatsächlich seinen Wissenschaftsjournalismus ausbauen möchte», schreibt der SKWJ. «Dazu müsste die Zeitung aber Stellen für Journalistinnen und Journalisten schaffen.»

Dass im Rahmen der Kooperation auch eine KI-Anwendung entwickelt wird, um «journalistische Arbeit zu unterstützen», lässt das Gegenteil befürchten.