Todesstrafe in Ägypten: Wer die Obrigkeit kritisiert, kann nur ein Terrorist sein

Nr. 27 –

Die ägyptische Regierung von Präsident Abdel Fattah al-Sisi sperrt immer mehr Oppositionelle ein, foltert sie und richtet sie hin. Von den USA und Europa muss sie dennoch kaum Kritik fürchten.

Die Zahl der Todesstrafen und Hinrichtungen steigt weltweit. Ein Land fällt dabei besonders auf: Ägypten. Nach China und dem Iran lag Ägypten im Jahr 2020 mit 107 Hinrichtungen weltweit auf Platz drei dieser dunklen Liste. Tausende InsassInnen – unter ihnen viele politische Gefangene – warten derzeit in ägyptischen Gefängnissen auf die Vollstreckung ihrer Todesurteile. Mehr als 2500 davon wurden seit dem Militärputsch und der Machtergreifung durch Präsident Abdel Fattah al-Sisi im Jahr 2013 verhängt – meist gegen Oppositionelle, JournalistInnen oder AnwältInnen. Mitte Oktober 2020 liess das ägyptische Regime demonstrativ an einem einzigen Tag fünfzehn Menschen erschiessen oder erhängen.

Die Botschaft: In Ägypten hat nicht die geringste Opposition Platz.

Viele Todesurteile wurden bisher von Militärgerichten verhängt. Teilweise geschieht das im Rahmen von Massenprozessen, bei denen Dutzende Angeklagte in kleinen Käfigen im Gerichtssaal vorgeführt werden. Die Urteilsverkündungen werden im staatlichen Fernsehen übertragen. Geständnisse, so berichten ägyptische Menschenrechtsorganisationen, würden durch Folter erzwungen, Verhaftungen ähnelten Kidnapping-Aktionen aus Actionfilmen. Einige Angeklagte seien schlicht zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen – zum Beispiel als PassantInnen am Rand von Demonstrationen. Frauen sind von dieser kompromisslosen Verfolgung ebenso betroffen wie Männer. Oft werden dabei Todesurteile, aber auch langjährige oder lebenslange Haftstrafen von den Gerichten wegen «terroristischer Aktivitäten» verhängt. Es ist im Kontext des internationalisierten Kampfs gegen den Terror eine vorgeschobene Rechtfertigung, die keine weiteren Diskussionen zulässt.

Zermürbungsstrategien

Doch die Gerichte des Regimes verhängen nicht nur Todesstrafen. Artikel 55 und 56 der ägyptischen Verfassung garantieren zwar eine «menschliche Behandlung» von GefängnisinsassInnen, die Realität sieht in den meisten Vollzugsanstalten des Landes aber ganz anders aus, wie ägyptische Menschenrechtsorganisationen seit dem Jahr 2013 dokumentieren. Viele dieser Organisationen werden von der Regierung an ihrer Arbeit gehindert, ihre MitarbeiterInnen werden inhaftiert. Deswegen reden die meisten AktivistInnen in Ägypten, aber auch im Exil nur noch anonym mit MedienvertreterInnen. Viele Organisationen belassen es mittlerweile bei der schlichten Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen, Öffentlichkeitsarbeit kann für die eigene Belegschaft mit Haftstrafen oder sogar dem Todesurteil enden.

Um KritikerInnen zu verschrecken, setzt das Regime gegen unliebsame Oppositionelle Zermürbungsstrategien ein, die ebenso dokumentiert sind: gezielte medizinische Vernachlässigung im Gefängnis, Dauereinzelhaft, Kontaktverbote gegenüber der Aussenwelt (auch mit dem Argument des Pandemieschutzes), Kontaktsperren zu den eigenen AnwältInnen, Mangelernährung oder endlose Untersuchungshaft. Hier nur drei von vielen prominenten Betroffenen: die Filmemacherin Sanaa Seif (ihre Gerichtsverhandlung zum Vorwurf der «Desinformation» wurde über Monate mehrfach und grundlos verschoben), die Menschenrechtsanwältin Hoda Abdelmoniem (sie sitzt seit mehr als zwei Jahren in Untersuchungshaft, was gegen geltendes ägyptisches Recht verstösst) oder der Journalist Mahmoud Hussein (er wird seit mehr als vier Jahren festgehalten, ihm wird Aufwiegelung gegen den Staat vorgeworfen, Beweise dafür existieren nicht).

Und der Unterdrückungsapparat wird weiter ausgebaut: MenschenrechtsaktivistInnen berichten, dass an mehreren Orten in Ägypten neue, riesige Gefängniskomplexe entstünden. Es sollen Gebäude mit Schallschutz und Folterkellern sein. Offizielle Berichte existieren dazu allerdings nicht, das Regime lässt keine unabhängigen Untersuchungen zu.

Das Arabic Network for Human Rights Information mit Sitz in Kairo sammelte Ende 2020 Aussagen von ehemaligen InsassInnen ägyptischer Gefängnisse, die von Folter und Menschenrechtsverletzungen berichteten. Die Protokolle erlauben einen Blick in das Leid der politischen Gefangenen. Die Berichte sollen zukünftigen InsassInnen als Handlungsempfehlungen im Umgang mit der Militärjustiz und dem Gefängnisapparat dienen: Die falsche Reaktion auf die staatliche Unterdrückung kann einen leicht das Leben kosten.

Der Verbündete des Westens

Hassan Hussein sass in den Jahren 2018 und 2019 im berüchtigten Foltergefängnis Tora im Süden Kairos. «Ich war anfangs überrascht, dass ich in einer Zelle mit achtzig Schwerstkriminellen gelandet war. Es war wichtig, diese Menschen als Kollegen, Freunde, ja sogar Brüder zu betrachten», erzählt Hussein im Menschenrechtsbericht. Denn das Regime überlasse die Drecksarbeit – wie aus einigen Serien und Filmen bekannt – gerne verarmten Schergen, die politische Gefangene hinter Gittern im Sinne des Regimes einschüchtern, schlagen, vergewaltigen oder sogar töten.

Hussein entwickelte im Gefängnis eine Strategie, um sich dieser staatlich gewollten Gewalt zu entziehen: Jeder politische Gefangene müsse sich demnach den Gegebenheiten anpassen, dürfe sich unter keinen Umständen beschweren und solle verstehen, dass das Gefängnis kein Ort der politischen Auseinandersetzung sei. Um den Verstand nicht zu verlieren und weder von Wärtern noch von Mithäftlingen angegriffen zu werden, hielt sich Hussein an folgende Regel: «Verhalte dich so, als würdest du dein ganzes Leben im Gefängnis verbringen, und geh zugleich davon aus, dass du morgen freigelassen wirst.»

Forderungen an das Regime

Die fünf einflussreichsten Menschenrechtsorganisationen Ägyptens, darunter die Egyptian Initiative for Personal Rights und das Al-Nadeem-Zentrum, haben im Mai 2021 einen Leitfaden für eine Menschenrechtsreform in Ägypten mit sieben Punkten erstellt. Diese Prioritätenliste soll auch europäischen Regierungen als Handlungsempfehlung im Umgang mit dem ägyptischen Regime dienen; bevor weitere Kooperationen eingegangen werden, so die Forderung der MenschenrechtlerInnen, müsste die Regierung in Kairo diese Liste abarbeiten: alle politischen Gefangenen freilassen; die Praxis der endlosen Untersuchungshaft einstellen; den Ausnahmezustand aufheben, der seit 2017 gilt und der Regierung grenzenlose Kompetenzen verleiht; Urteile zu Todesstrafen unabhängig überprüfen; juristische Verfolgung von MenschenrechtsaktivistInnen beenden und ihre Arbeit entkriminalisieren; die Gleichberechtigung von Frauen festschreiben; die Zensurpolitik in den sozialen Medien und im Internet beenden.

Das Regime von Abdel Fattah al-Sisi ist allerdings ein wichtiger Verbündeter der USA und europäischer Regierungen. In Washington, London, Brüssel, Berlin oder Bern wird der Machthaber in Kairo als Vermittler (zum Beispiel im Nahostkonflikt), als Kunde (für Rüstungsgüter) oder Partner (im Kampf gegen den Terror) geschätzt. Es bleibt also fraglich, ob auch nur eine der sieben Forderungen in Ägypten, den USA oder Europa Gehör finden wird.