Repression in Ägypten: Verfolgt wegen «femininer Gesten»
Das ägyptische Regime gehe systematisch mit Gewalt gegen die LGBTQ*-Community vor, konstatiert ein neuer Bericht. Erst im Juni hat sich eine queer-feministische Aktivistin das Leben genommen.
Das Bild ging 2017 um die Welt: Sarah Hegazi steht in Kairo an einem Konzert der libanesischen Indieband Mashrou’ Leila, deren Sänger offen schwul lebt, inmitten von Tausenden Fans – und schwenkt mit strahlendem Lächeln die Regenbogenfahne. «Es war ein schöner Moment», sagt sie später der Deutschen Welle, «denn ich stand zu mir, in einer Gesellschaft, die alles hasst, was anders ist als die Norm.»
Eine Woche später wird die junge Frau verhaftet. Der Vorwurf: Sie soll sich «einer verbotenen Gruppe» angeschlossen haben, deren Aktivitäten sich gegen die Verfassung richteten. Auch Dutzende weitere KonzertbesucherInnen werden festgenommen. Als Hegazi nach drei Monaten freikommt, flieht sie nach Kanada ins Exil. Dort spricht sie offen über die Folter, die sie im Gefängnis erlebt hat, erzählt von Elektroschocks und Isolationshaft.
Ausgehend von Hegazis Fall hat die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) nun fünfzehn Fälle von Folter an lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans und queeren Personen (LGBTQ*) dokumentiert. «Die Misshandlungen sind Teil eines grösseren und systematischen Musters von Gewalt gegen LGBTQ* in Ägypten», schreibt HRW im vergangene Woche veröffentlichten Bericht.
Tabuisiert, aber nicht verboten
Seit sich General Abdel Fattah al-Sisi im Sommer 2013 an die Macht putschte, hat die Militärdiktatur die hoffnungsvolle Stimmung nach dem Arabischen Frühling niedergewalzt. Über ein Dutzend neue Gefängnisse liess Sisi nach seiner Machtübernahme innerhalb von sechs Jahren bauen. NGOs schätzen die Zahl der politischen Gefangenen aktuell auf 60 000.
Dem HRW-Report zufolge kontrollieren und verhaften die Sicherheitskräfte willkürlich Leute auf der Strasse: mehrere Männer wegen «femininer und homosexueller Gesten», eine trans Frau wegen «abnormalen Aussehens». Weitere Männer seien von verdeckten Ermittlern über soziale Medien und Dating-Apps wie Grindr aufgespürt worden.
Homosexualität und trans Identitäten sind in Ägypten zwar stark tabuisiert – sowohl innerhalb der muslimischen Mehrheitsgesellschaft als auch in der christlichen Minderheit –, aber nicht explizit verboten. Um LGBTQ* zu verfolgen, verwenden die Behörden deshalb andere Gesetze, wie etwa eines gegen Sexarbeit, das «notorische Verkommenheit» und «sexuelle Abartigkeit» mit bis zu drei Jahren Haft bestraft.
Ägypten gehört damit zu den 72 Staaten weltweit, in denen Homosexualität nach wie vor kriminalisiert wird. In acht Ländern droht dafür sogar die Todesstrafe, darunter in Saudi-Arabien, dem Iran und Jemen. Weltweit erleben homosexuelle, queere und trans Menschen Hassverbrechen, Gewalt und Diskriminierung. Die Suizidrate ist unter queeren Jugendlichen dreimal höher als bei Hetero-Cis-Teenagern. Zudem bestärkt der Aufschwung des Rechtsnationalismus vielerorts homo- und transfeindliche Kräfte.
Welle der Solidarität
Im Bericht von HRW erzählen die Verhafteten von Folter, Isolationshaft oder völlig überfüllten Zellen, von wiederkehrenden Schlägen und sexualisierter Gewalt – häufig vollzogen unter dem Deckmantel von «Analuntersuchungen» oder sogenannten Jungfräulichkeitstests. Polizei und Staatsanwaltschaft sollen die Festgenommenen beschimpft und Geständnisse erzwungen haben, ihnen AnwältInnen und medizinische Versorgung verweigert haben. Zudem hätten die PolizistInnen andere Inhaftierte gezielt dazu aufgefordert, die LGBTQ*-Gefangenen verbal und sexuell zu misshandeln.
In Ägypten werde «jede Person, die nicht männlich, muslimisch, sunnitisch, hetero und ein Unterstützer des Systems ist, abgelehnt, unterdrückt, stigmatisiert, verhaftet, ins Exil verbannt oder getötet», schreibt Sarah Hegazi diesen März auf einem linken arabischen Onlineportal. «Dies hängt mit dem patriarchalen System zusammen, denn der Staat kann seine Repression nicht ohne eine bereits seit der Kindheit bestehende Unterdrückung ausüben.» Das Trauma verfolgt die Dreissigjährige auch in Kanada. Am 14. Juni nimmt sich die Aktivistin das Leben.
Sarah Hegazis tragischer Tod hat weltweit Wellen der Solidarität ausgelöst. «Seitdem hat Ägypten aber weiterhin unverfroren LGBTQ*-Personen ins Visier genommen und misshandelt», kommentierte Rasha Younes von HRW den Report. «Die Behörden scheinen um die schlimmste Bilanz von Rechtsverletzungen in der Region zu konkurrieren, während das internationale Schweigen entsetzlich ist.»
Auch den Fall der zwanzigjährigen Malak al-Kashif hat HRW dokumentiert. Die Aktivistin wurde 2019 bei einem Protest in Kairo verhaftet. Gegenüber der NGO berichtet sie von der Folter, die sie im Gefängnis erlebt hat: Wie sie als trans Frau in einem Männergefängnis untergebracht wurde, wie sie bis heute unter einer posttraumatischen Belastungsstörung und sozialer Phobie leidet.
«Ich bin nicht mehr die Person, die ich mal war», sagt Kashif. Trotzdem möchte sie das Land nicht verlassen. «Sarah Hegazis plötzlicher Tod hat unsere Community in Ägypten erschüttert. Sie war es, die queere Rechte auf die Tagesordnung der linken Bewegung gesetzt hat. Sie erinnert mich daran, dass meine Stimme in dieser Gesellschaft gebraucht wird.»