Im Affekt: Bloss nichts anbrennen lassen!

Nr. 34 –

Es gibt politische Floskeln, die seit Beginn der Coronapandemie schon so oft wiederholt wurden, dass wir sie längst nicht mehr hören können. Sie taugen nicht mal mehr als Running Gag. Und dann kommt Bundesrat Ignazio Cassis und sucht sich doch ausgerechnet eine dieser Phrasen aus, um die aussenpolitische Haltung der Schweiz im Afghanistankonflikt zu erläutern: «Wir müssen die Situation beobachten und schauen, wie sie sich entwickelt.»

Einmal abgesehen davon, dass das eigentlich völlig selbstverständlich sein sollte, dass eine Regierung beobachtet, wie sich eine Situation entwickelt: Ein ungemein praktischer Satz ist das. Weil er dem Sprecher restlos alle Optionen offenlässt. Wir müssen beobachten, wie sich die Lage entwickelt: Das verschleiert nicht nur fehlende Handlungsbereitschaft, es sendet zugleich die beschwichtigende Botschaft aus, dass die Schweiz auf dem Posten ist – und zwar auf dem erhabenen Posten der Beobachterin, souverän also, und auf Distanz. Und hey, sie verbaut sich auch gar nichts damit. Sollte sich die Gelegenheit bieten, kann sie immer noch diplomatische und, wer weiss, vielleicht sogar wirtschaftliche Beziehungen zum neuen Regime knüpfen.

Ideologie, so hat Slavoj Zizek gezeigt, wirkt nicht einfach im Verborgenen, sie liegt immer auch offen zutage. Und diese vermeintliche Floskel ist Ideologie in Reinkultur: In ihr manifestiert sich ganz unverhohlen das aussenpolitische Selbstverständnis der Schweiz. Früher versteckte sich die Eidgenossenschaft noch hinter dem Mythos ihrer Neutralität; den hat sie jetzt nicht mehr nötig. An seine Stelle ist der profane, vorgeblich pragmatische Jargon der politischen Kommunikation getreten. Der Neutralitätsmythos hat sich in eine Allzweckleerformel fürs postpolitische Zeitalter verwandelt.

Wir müssen beobachten, wie sich die Lage entwickelt: Die Schweizer Neutralität gibts jetzt neu mit neoliberaler Teflonbeschichtung. Da brennt garantiert gar nichts mehr an.

Die Mitglieder der Schweizer Regierung heissen ab jetzt nicht mehr BundesrätInnen, sondern LageentwicklungsbeobachterInnen.