Im Affekt: Kunst, ärztlich verordnet

Nr. 37 –

Kulturbetriebe und die mentale Gesundheit haben gleichermassen unter der Pandemie gelitten. Die Brüsseler Kulturchefin Delphine Houba will nun beide auf einen Schlag wieder aufpäppeln: Kunst soll gegen Stress und psychische Krankheiten helfen. Im Rahmen einer Pilotstudie können die ÄrztInnen eines Spitals deshalb Museumsbesuche verschreiben.

Eigentlich naheliegend: Schon in unterschiedlichen historischen und kulturellen Kontexten wurde der Kunst eine heilende Wirkung zugeschrieben – nicht nur von Schamanen, sondern auch von der WHO. Und während auch die Neuropsychologie positive Effekte von Kunst auf das Gehirn misst, erarbeitet sie ganz nebenbei Kriterien für eine patientenorientierte Kunstkritik. Abstrakte Kunst? Viel zu deutungsoffen und damit potenziell verstörend! Um solche unerwünschten Nebenwirkungen zu vermeiden, gelten möglichst nichtssagende Landschaftsbilder als heilsamer.

Dagegen lässt sich dem Brüsseler Pilotprojekt direkt zugutehalten, dass es den Gestressten mit einem Museumsbesuch eine Variante von «Mindfulness» oder Achtsamkeit unterjubelt, die ohne übersättigte Wasserfälle im Weichzeichner und dergleichen auskommt. Kontemplation und «Mindfulness» liegen ja nicht allzu weit entfernt, bei beidem geht es im Prinzip um eine konzentrierte Wahrnehmung – womöglich sind sie sogar gleichermassen gesundheitsfördernd. Doch wenn Kunst einzig den Zweck erfüllen soll, dass wir möglichst rasch die Funktionstüchtigkeit in dem System zurückerlangen, das uns krank gemacht hat, untergräbt das ihr Potenzial in so vieler Hinsicht.

Weniger dick aufgetragen, könnte man das Experiment in Brüssel auch einfach als simplen Ausflug bezeichnen. Denn neben potenziell verstörender Kunst stehen den PatientInnen dort auch ein Kostüm- oder ein Kanalisationsmuseum zur Auswahl. Wer sucht, dürfte also fündig werden: sei es die eigene Persönlichkeit oder das Licht am Ende des Tunnels. Kulturpolitisch heikel könnte es allerdings werden, sollte sich herausstellen, dass ein Rundgang durch die Kanalisation glücklicher macht als Kunst.

Für Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihre Kuratorin oder Ihren Kritiker, und lesen Sie bloss keine Packungsbeilage.