Im Affekt: Schlachtruf aus dem Schützengraben

Nr. 39 –

«Vor dem Krieg habe ich weniger Angst als davor, dass alles so bleibt, wie es ist.» Wo stand das geschrieben? Nein, nicht bei Ernst Jünger, der Satz stammt aus der WOZ. Geschrieben hat ihn Nicolas Lindt aus der Gründungsgeneration dieser Zeitung. Und weiter schrieb er damals, im Dezember 1981: «Ich möchte nicht nur überleben. Ich möchte leben. Lieber Krieg als ein ‹Frieden›, der uns nicht leben lässt.» (Interessant, dieser stillschweigende Wechsel in der Person: Wie kommt er plötzlich auf uns, wo er doch von sich selber spricht?)

Die Reaktionen waren heftig, intern wie extern: menschenverachtend, faschistisch, «zum Kotzen» sei das. Lindt kehrte der WOZ bald den Rücken, doch jetzt hat ihn abermals die Kriegslust ergriffen. In einem Gastbeitrag beim Onlineportal «Die Ostschweiz» macht er mobil gegen die Weltverschwörung der «Pandemisten», die uns in «diabolischer Fürsorglichkeit» mit ihrem «System» beglücken wollen. Wobei er ungeniert auch Versatzstücke von damals rezykliert – aber härter und patriotisch verbrämt: Schluss mit dem Miteinander, wir müssen kämpfen, Sieg oder Niederlage, sonst verkaufen die Herrschenden unser Land dem Teufel! Der Krieg ist jetzt auch keine diffuse jugendbewegte Sehnsucht mehr, sondern für Lindt bereits Tatsache: «Dies ist mehr als nur eine Schlacht. Dies ist ein Krieg, und er hat gerade begonnen.»

Nun könnte man sagen: Der Mann ist sich halt treu geblieben, und jetzt sieht er endlich seine Zeit gekommen. Denn wie schrieb er 1981 in der WOZ: «Was ich mir wünsche, ist ein allgemeiner Notstand, dem sich keiner mehr entziehen kann, der ins Leben aller eingreift und die schweigende Mehrheit zum Reden, zum Schreien, zum Handeln bringt!» Vierzig Jahre lang hat er vergeblich darauf gewartet; dank der Pandemie ist sein Wunsch jetzt doch noch in Erfüllung gegangen.

Ist gut, Nicolas, wir hören auch dich schreien.

Ausführlicher kann man die Episode in Stefan Howalds Buch «Links und bündig» über die Geschichte der WOZ nachlesen.