#digi: Die Wahrheit verschwimmt
Mark Zuckerberg, der offen zugibt, die eigenen Nutzer:innen zu «besitzen»; Barack Obama, der in einer Rede damit angibt, jemanden auf «über siebenhundert verschiedene Arten töten» zu können; Nancy Pelosi, die undeutlich und wie betrunken in einem Interview spricht. All das ist nie geschehen. Und trotzdem gibt es täuschend echte Videos und Audioaufnahmen, die das Gegenteil nahelegen. Willkommen in der Welt der Deepfakes, mit denen sich eine synthetische Realität aus wenigen Bildern und Audioschnipseln herstellen lässt.
Wie solche Anwendungen unsere Welt bedrohen, beschreibt die Tech-Journalistin Nina Schick in ihrem jüngst auf Deutsch erschienenen Buch «Deepfakes». Darin beschwört sie eine reichlich düstere Zukunft herauf. Denn je öfter gefälschte Botschaften in unsere Lebenswelt sickern oder bewusst darin eingebettet werden, desto stärker verschwimmt die Wahrheit. Wenn Bilder und Videos fast unerkennbar gefälscht, aus dem Kontext gerissen, ergänzt und manipuliert werden, beginnt unser Realitätskompass zu rotieren. Irgendwann können wir uns nicht mehr auf eine geteilte Wirklichkeit verlassen.
Schicks Buch dreht sich weniger um die technischen Möglichkeiten synthetisch hergestellter Medien, sondern um Gefahren und Auswirkungen von Desinformation im digitalen Zeitalter. Unter dem Stichwort der drohenden «Infokalypse» fasst sie verschiedene Trends zusammen und versucht, sie durch das Brennglas der Deepfakes zu analysieren. Schade, dass dabei der Blick auf die feinen Unterschiede zwischen unterschiedlichen Arten von Manipulationen verloren geht. Zugleich wird deutlich, dass sich Schick in einem sich rasant wandelnden technologischen und gesellschaftlichen Feld bewegt. So wirkt einiges im Buch übereilt und holzschnittartig. Die spezifische Energie, die von hinterhältigen und kaum zu entlarvenden Deepfakes ausgeht, bleibt vage. Dennoch liefern die vielen süffig erläuterten Beispiele eine gute Einführung und zeigen, dass digitale Desinformation reibungslos an historische Strategien der Propaganda anknüpft.
Nina Schick: Deepfakes. Wie gefälschte Botschaften im Netz unsere Demokratie gefährden und unsere Leben zerstören können. München 2021. Goldmann Verlag. 256 Seiten. 18 Franken