Klimaschutz: Wenn die Wellen gefrässiger werden
Erodierende Strände, versalzende Ökosysteme, schwindende Lebensräume: Für Küstenstädte auf der ganzen Welt bringt der steigende Meeresspiegel riesige Probleme mit sich. In der westafrikanischen Hafenmetropole Cotonou zeigt sich exemplarisch, wie schwierig der Umgang damit ist.
Er liebe das Meer, sagt Emeka Ikechukwu. Der Vater von vier Kindern ist 1993 aus dem Nachbarland Nigeria nach Benin gekommen. In der Hafenmetropole Cotonou versprach er sich bessere Jobperspektiven – viele seiner Landsleute kommen als Händler:innen hierher – und ein gutes Leben direkt an der Küste, wo immer ein frischer Wind weht. Als er im Jahr 2004 in der «Botschaftszone», im Stadtteil Akpakpa im Südosten Cotonous, ein Grundstück kaufen konnte, ergriff er die Chance. Die Gegend galt als chic. Ikechukwu freute sich über die Gelegenheit.
Doch seine Begeisterung für den Atlantischen Ozean ist längst der Angst gewichen. «Wenn wir nachts im Bett liegen, hören wir die Wellen. Tagsüber sehen wir sie. Sie sind riesig», sagt Ikechukwu. Freund:innen äusserten sich besorgt, wenn sie seine Familie besuchten, erklärt er; sie befürchteten, dass sich das Meer eines Tages seinen Weg bis zum Haus bahnen und dieses möglicherweise gar mit sich reissen könnte.
Ikechukwu sitzt in seiner kleinen Bar mit dem Namen «Maison Mer» – Haus des Meeres. Er hat sie gemeinsam mit seiner Frau aufgebaut, vor dem Wohnhaus, als zusätzliche Einnahmequelle. Er spricht sachlich und nüchtern, während im Hintergrund die Wellen donnern, bis sie an den riesigen Buhnen brechen. Ende Februar ist das Meer noch verhältnismässig ruhig, stürmischer wird es während der Regenzeit von Mai bis Juli und noch einmal im September und Oktober. Dann steht Akpakpa regelmässig unter Wasser. Die grossen Pfützen ziehen Moskitos an, die Malaria verbreiten. Von Ikechukwus Bar bis zur Wasserkante sind es keine fünfzig Meter.
Das war nicht immer so. Ikechukwu deutet mit dem Zeigefinger in Richtung Süden. «Da standen einst Häuser, Strassen. Nichts ist mehr übrig geblieben.» Es braucht viel Fantasie, um sich all das vorzustellen; von einigen der grossen Villen, die noch nicht ganz verschwunden sind, sind noch die Ruinen zu sehen. In einigen haben sich Squatter:innen eingerichtet, Menschen, die aus der Not heraus Häuser besetzen. Von anderen haben die Besitzer:innen die noch übrig gebliebenen Steine abgetragen, verkauft und anderswo in der Stadt neu verbaut.
Benin, zwischen Nigeria und Togo gelegen, hat eine Küstenlinie von 125 Kilometern. An den sogenannten Hotspots des Landes frisst das Meer pro Jahr bis zu dreissig Küstenmeter Sandstrand. In Cotonou seien es durchschnittlich zwischen zehn und fünfzehn Meter, sagt William Tchoki. Der Journalist arbeitet für das staatliche Fernsehen ORTB und hat sich auf Umweltthemen spezialisiert. Anfangs sei es nicht leicht gewesen, dafür Interesse zu wecken: «Themen aus Politik und Gesellschaft waren interessanter», sagt Tchoki, «dabei sind die Veränderungen durch den Klimawandel bereits überall zu sehen.»
Der Hafen als Problem
Die Auswirkungen fallen sehr unterschiedlich aus, auch in Cotonou selbst. Und sie spielen mit der Stadtarchitektur zusammen: Eine Debatte dreht sich etwa um den 1964 erbauten Hafen, den einzigen des Landes, durch ihn werden etwa sechzig Prozent des Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet. Das kleine Benin hat kaum nennenswerte Industrie, viele Waren müssen importiert werden, der Export besteht hauptsächlich aus Baumwolle und Cashewnüssen. Als Warendrehscheibe ist der Hafen auch für Binnenländer wie Burkina Faso und Niger im Norden von zentraler Bedeutung. Westlich der Mündung des Lagune genannten Kanals gelegen, der den Atlantik mit dem Nokoué-See verbindet, hat er Einfluss darauf, wie das Meer aufs Land trifft. William Tchoki erklärt: Während sich westlich des Hafens Sand ansammle, habe sich die Erosion auf der östlichen Seite verstärkt. «Auf der einen Seite gewinnen wir also Fläche, auf der anderen verlieren wir sie», sagt Tchoki. «Insgesamt ist der Verlust allerdings grösser.» Eine Entwicklung, mit der überall an der westafrikanischen Küste gekämpft wird.
Für Benin, das bei den Pro-Kopf-Emissionen von Treibhausgasen weltweit bloss auf dem 140. Platz liegt, gibt es seit zwanzig Jahren deutliche Warnungen. Forscher:innen der Universität Montreal in Kanada sprachen schon 2002 von «desaströsen Auswirkungen» der Klimaerwärmung für die beninische Küste. Erst viel später entstanden dann die ersten Schutzvorkehrungen: 2012 liess die Regierung des damaligen Präsidenten Boni Yayi entlang der Küste acht Buhnen errichten, rechtwinklig von der Küste ins Meer reichende Schutzwälle aus Steinblöcken. Die Dämme sind bis zu 300 Meter lang und 60 000 Tonnen schwer und werden im Meer zunehmend breiter. So verlangsamen sie die Strömung, brechen die Wellen und vermindern die Sanderosion.
Gemäss Daten der Weltbank betrugen die Kosten, die von der Erosion an der beninischen Küste allein im Jahr 2017 verursacht wurden, umgerechnet über 108 Millionen Franken. Bei einem Staatsbudget, das sich in diesem Jahr auf knapp 4 Milliarden Franken belaufen dürfte, sind das riesige Beträge. Philippe Zoumenou, der Direktor für den Schutz der Küste und von Ökosystemen im nationalen Umweltministerium, bestätigt, dass mit den bestehenden Massnahmen das Problem auf lange Sicht nicht gelöst sei. Er versichert aber: Die Regierung von Patrice Talon, der 2016 an die Macht kam und seither mit autokratischen Anwandlungen auffiel, nehme den Anstieg des Meeresspiegels und den Klimawandel sehr ernst. «Wir haben vier weitere Buhnen gebaut», sagt Zoumenou, und für 84 Millionen Franken wurden sogar 150 Hektaren Strand wieder aufgeschüttet. «Die Bevölkerung ist mittlerweile zufrieden», so der Regierungsbeamte.
Warum keine Brücke?
Darauf angesprochen, verzieht Doris Alapini das Gesicht und macht eine abfällige Handbewegung. Sie betreibt den «Biergarten», ein bekanntes Strandlokal, das ganz in der Nähe der Lagune liegt. Vor allem abends kommt Kundschaft. Sie geniesse es seit jeher, am Strand zu sitzen, Fisch zu essen und den Sonnenuntergang bei einem Glas Bier zu beobachten. Dabei nehme sie aber auch wahr, wie nach und nach der Sand abgetragen werde. «Die Regierung ist sich dessen bewusst, und sie macht auch viel», sagt Alapini. «Aber das Meer, das ist ein ewiger Kampf.»
Einen Teil ihrer Tische stelle sie jeweils direkt am Strand auf, so die Wirtin, aber dieser Abschnitt habe sich mittlerweile enorm verschmälert. Und zwar nicht nur wegen des Meers: Auch ein neues Bauprojekt bedrängt ihr Lokal. Direkt nebenan, dicht an der Wasserkante, entsteht gerade eine neue Strasse.
«Corniche» nennt sich das Verkehrsprojekt, und es ist Teil des Tourismuskonzepts der Regierung von Patrice Talon. Seit Beginn seiner Amtszeit setzt dieser darauf, Benin zur Urlaubsdestination zu machen. Dabei eignet sich die Küste Cotonous gar nicht für Badeferien, denn die Unterwasserströmung ist stark und unberechenbar. Erst im Januar starb am Strand von Akpakpa wieder ein junger Mann, der einen Fussball aus dem Wasser holen wollte. Er wurde von der Strömung mitgerissen.
Aus diesem Grund sollen in Benin zwei «Meeresseen» entstehen: künstlich angelegte Gewässer, die mit dem Meer verbunden sind und in denen es sich sicher schwimmen lässt. Einer davon, fünfzig Hektaren gross, soll vor einer stillgelegten Hotelanlage unweit des Biergartens von Doris Alapini Besucher:innen anziehen. Dorthin soll die neue Küstenstrasse führen.
Die Wirtin hat kein Verständnis für das Vorhaben. Sie geht zum Strand hinüber, überquert die unfertige Strasse und bleibt kurz vor der Wasserkante stehen. «Das ist so dicht am Wasser gebaut», sagt sie. Die Strasse mache den Strand kaputt, und schon bald werde sie ohnehin vom Meer weggespült. In einem Schreiben hat sie sich deshalb ans Umweltministerium gewandt: Das Projekt gefährde die Stabilität der Küste und das Leben der Anwohner:innen. Überhaupt mangle es an Transparenz. Ihr Vorschlag ist klar: Es liesse sich auch eine Brücke entlang der Küste bauen.
Der schwindende Strand vor Cotonou gefährdet nicht nur die Lebensgrundlage der Menschen, die hier leben, sondern auch so manche Tierarten. Das wird im äussersten Osten Cotonous deutlich, im Schutzzentrum für Meeresschildkröten, das die Umweltschutzorganisation Nature Tropicale seit 27 Jahren hier betreibt. Auf dem Gelände finden sich Informationstafeln zu den verschiedenen Meeresschildkröten, die im und am Golf von Guinea heimisch sind. Auf einer eingezäunten Sandfläche mit einem Schildkrötengelege steht eine alte, mit Wasser gefüllte Badewanne. Etwa zwanzig winzige Lederschildkröten schwimmen darin. Ausgewachsen werden die Meeresreptilien bis zu 2,5 Meter lang und 700 Kilogramm schwer. Längst hat die Weltnaturschutzorganisation sie auf die Rote Liste der gefährdeten Arten gesetzt. Denn sie sind ganz besonders vom Anstieg des Meeresspiegels betroffen.
Vitus Elegbede nimmt eine knapp zwei Monate alte Schildkröte aus der Badewanne und hält sie vorsichtig mit Daumen und Mittelfinger fest. Der kleine Panzer ist noch weich und keine zehn Zentimeter lang. «Die Weibchen legen ihre Eier in den Sand. Nach zwei Monaten schlüpfen die Schildkröten», erklärt der Mitarbeiter von Nature Tropicale. Um ihre Eier zu legen, kommen die ausgewachsenen Weibchen jeweils an jenen Strand zurück, an dem sie einst selbst geschlüpft sind. Wo das Meer nun immer mehr Sand abträgt, wird das zum Problem. Die Fläche für die Gelege wird immer kleiner.
«Die Schildkröten sind in Gefahr», sagt Elegbede. Seine Organisation bringt die Eier deshalb auf ihr geschütztes Gelände, um die Schildkröten zwei Monate nach dem Schlüpfen ins Meer zu bringen. Links und rechts des Küstenabschnitts sind zum Schutz vor der Erosion Buhnen gebaut worden. «Wir sehen aber, dass das nicht ausreicht», sagt Elegbede, der sich seit zwanzig Jahren für den Schutz der Tiere einsetzt. «Die Schildkröten können sich nicht anpassen.»
Immer tiefere Brunnen
Entlang des Nokoué-Sees im Nordwesten von Cotonou wächst die Stadt Calavi. Wer sich in der Küstenmetropole keinen Wohnraum mehr leisten kann, findet ihn hier, wo sich zugleich die grösste Hochschule Benins befindet. Hier arbeitet Edia Flavien Dovonou am Nationalen Institut für Wasser der Universität Abomey-Calavi. Er ist auf Umweltmanagement und Wasserqualität spezialisiert. Die Entwicklung Cotonous beobachtet er mit Sorge: Aufgrund des Sees im Norden, der Lagune im Zentrum und des Atlantiks im Süden hat die Stadt Probleme, sich noch weiter auszubreiten, während die Stadtbevölkerung gleichzeitig zunimmt. Über zwei Millionen Menschen wohnen mittlerweile im Ballungsraum. Das Resultat ist ein Verdrängungskampf. Grundstückspreise von umgerechnet über 30 000 Franken für 300 Quadratmeter können sich bei einem durchschnittlichen Jahreseinkommen von knapp 1200 Franken nur die allerwenigsten Beniner:innen leisten.
Oberste Priorität hat für Edia Flavien Dovonou deshalb, jeden Quadratmeter Küste zu schützen. «Das muss jeden Tag geschehen, weil wir sonst immer mehr Fläche verlieren», so der Akademiker. Und der ansteigende Meeresspiegel bringt noch ein weiteres zentrales Problem mit sich: Das Salzwasser vom Atlantik stört das ökologische System, indem es etwa immer weiter in die Lagune drängt. Einige hier heimische Fischarten würden nur einen bestimmten Salzgehalt vertragen, so Dovonou. Und in der Küstenregion steige der Salzgehalt überdies auch im Grundwasser, weshalb die Menschen auf immer tiefere Brunnen angewiesen seien, was mit hohen Kosten verbunden sei.
Buhnen und aufgeschüttete Steine reichten nicht aus, um den Landverlust an der Küste einzudämmen, sagt daher auch Dovonou: «Dort müssen im grossen Stil Palmen gepflanzt werden», fordert der Wissenschaftler. Durch das Wurzelwerk der Bäume lasse sich der Sand nämlich stabilisieren; das werde etwa in Küstenregionen mit Mangrovenwäldern sichtbar, wo die Sandabtragungen bislang weniger stark ausfielen. Und tatsächlich wurden in den vergangenen Jahren im Westen der Stadt mehrere grössere Pflanzaktionen umgesetzt.
«Der Staat darf nun auf keinen Fall beim Küstenschutz nachlassen», sagt Emeka Ikechukwu vor seinem Haus am Strand von Akpakpa. Er blickt zur Buhne, die sich in unmittelbarer Nähe befindet. «Wären die Steine nicht aufgeschüttet worden, würde es unser Haus längst nicht mehr geben», sagt Ikechukwu. «Ich will mein Haus nicht verlieren, denn ein anderes würde ich mir doch nicht leisten können.»