Leser:innenbriefe
Rückkehrzentren
«Berner Rückkehrzentren: Politisch motivierte Verachtung», WOZ Nr. 7/2022
Der Kommentar zielt vor allem auf die Person. Man kann dem Berner Regierungsrat Philipp Müller ja vieles vorwerfen. Aber dass er sich «um das Schicksal der Kinder foutiert», stimmt nicht. Als Erstes in der Schweiz wird in Enggistein BE ein Zentrum nur für Familien mit Kindern und für Frauen eröffnet; dort können sie von Beginn weg die Schulen besuchen. Er hat also gehandelt, und wer weiss, wie lange solche Verhandlungen mit Gemeinden, Schulen, Statthalteramt gehen, weiss auch, dass das vor Monaten begonnen haben muss und nicht Ausfluss des NKVF-Berichts sein kann. Auch im zweiten Punkt hat die Autorin nicht recht: Gemäss bernischem Gesetz ist die Unterbringung in Kollektivunterkünften vorgesehen (linke Anträge dazu wurden im Parlament abgelehnt). Wohnungen sind also auch für Familien nicht vorgesehen. Daran muss er sich halten.
Peter Flück, Interlaken
Diese politisch motivierte Verachtung im Kanton Bern ist nur eine Seite der Medaille. Der Regierungsrat glaubt an die Legitimität der Wegweisungen des Staatssekretariates. Daher ist es in seinem Interesse, die Situation dieser Menschen möglichst unhaltbar zu machen. Es ist daher auch verständlich, dass es seine Kompetenzen nicht ausschöpfen will und daher von der Antifolterkommission gerügt wird. Zudem ist die Situation in jedem Kanton ganz anders.
Die damalige Justizvorsteherin hatte mir geantwortet, dass das Staatssekretariat alle Gesuche seriös und individuell prüfe. Aber nach welchen Kriterien! Dass den Gesuchstellern auch belanglose Ungenauigkeiten bei der Übersetzung ihrer Beschreibung von Fluchtweg oder -grund als «Unglaubhaftigkeit» ausgelegt werden, ist ein unglaubhaftes Vorgehen. Auch wird die Situation in den Herkunftsländern nicht berücksichtigt. Was blüht den Rückkehrern? Dass sie zum Teil jahrelang bleiben, ist ein Tatbeweis. Im Falle von Eritrea wurde dies in einem Film auf Arte gezeigt. Oft wurde eine homogene Gruppe künstlich in anders zu behandelnde Untergruppen unterteilt.
Aber auch Tibetern, Afghanen, Syrern, Kurden … wird das Verfahren nicht gerecht. Denke ich an die Solidarität in den Fünfzigern zurück, als Tibet von China annektiert wurde, überkommt mich Wehmut. Ich zweifle an der Eignung vieler Mitarbeiter, die die Situation in den Ländern beurteilen müssen. Im Falle von Afghanistan habe ich dies bei einer Zusammenkunft in Bern direkt erfahren können – nicht einmal ausgewiesene Fachleute wie Ulrich Tilgner wurden beigezogen. Dass über diese Kriterien demokratisch abgestimmt wurde und sie damit dem Volkswillen entsprechen, ist kaum haltbar, wurde doch damals nur über die Beschleunigung des Asylverfahrens abgestimmt. Ich kenne heute Aktivisten, die sich damals täuschen liessen.
Ich finde, dass der Bund über die Bücher gehen und ein grosszügiges Verfahren für eine Legalisierung dieser Menschengruppe einleiten muss. Auch hat es viele Menschen darunter, die im ureigensten Interesse der hiesigen Bevölkerung in Berufen tätig sein möchten, in welchen Mangel herrscht (Gastronomie, Gesundheit, Bau, IT …). Sie könnten auf eigenen Beinen stehen und würden psychisch gesund bleiben. Ich bin überzeugt, dass die Zuständigen diesen Missstand genau kennen, aber entschlossen sind, alles der Vermeidung von «Pull-Faktoren» unterzuordnen.
Ulrich Burri, Biel
Apartheid?
«Menschenrechte: Ein Wort wie ein Hammerschlag», WOZ Nr. 6/2022
Kritiker:innen der israelischen Politik – «Israelkritik» ist ein konstruierter Begriff, um diese zu delegitimieren – berichten seit Jahren, wie die strukturelle Diskriminierung der palästinensischen Bevölkerung in Israel und den besetzten Gebieten als «Apartheid» gemäss dem Römischen Statut und der Konvention gegen Apartheid zu gelten hat. Nicht nur «Apartheid», sondern auch «Antisemitismus» ist ein Hammerschlagwort, das eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Amnesty-International-Bericht verhindert.
Die staatlich subventionierte Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus (GRA) und die jüdischen Dachverbände SIG und PLJS werfen AI «double standards» als Form von Antisemitismus vor: Kein anderer demokratischer Staat, «in welchem Konflikte zwischen religiösen Minderheiten bestehen», werde als «Apartheidstaat» bezeichnet. Dabei ist praktisch weltweiter Konsens, dass es beim Nahostkonflikt um weit mehr als um religiöse Zugehörigkeiten geht. SIG, PLJS und GRA sprechen dem palästinensischen Volk eine ethnische Identität ab und handeln damit rassistisch. So leisten sie dem Kampf gegen Antisemitismus einen Bärendienst. Sie und Israel würden besser zu den fundierten Kritikpunkten im AI-Bericht Stellung beziehen. Das hiesse, auf die Menschen vor Ort zu hören: in erster Linie die Palästinenser:innen selbst (einschliesslich ihrer Menschenrechts-NGOs, anstatt diese als terroristisch zu stigmatisieren) sowie andere auch jüdisch-israelische NGOs, die das Thema Apartheid seit Jahren fundiert dokumentieren.
Im WOZ-Artikel wird beiläufig ein «strukturell verankerter Antisemitismus» erwähnt. Was versteht der Autor für die Schweiz aktuell darunter? Wird dieser Begriff, angelehnt an den «strukturellen Rassismus», hier nicht falsch benutzt?
Guy Bollag, Zürich