#digi: Widerstand in der Gig Economy

Nr. 10 –

Seit über einem Monat ziehen in Istanbul fast jeden Tag Kolonnen von pinken Rollern durch die Strassen, die Fahrer:innen hupen und skandieren Parolen. Es sind Kurier:innen für den türkischen Lieferdienst Yemeksepeti. Statt für den Marktriesen Einkäufe in alle Winkel der Stadt zu verteilen, fordern sie faire Löhne und das Recht, sich gewerkschaftlich zu organisieren.

Für die mehr als 20 000 Menschen, die in Istanbul als Rider:innen arbeiten, geht es um ihre Existenz in einer gebeutelten Wirtschaft. Obwohl sich die Preise in der Türkei fast verdoppelt haben, bot Yemeksepeti lediglich eine Lohnerhöhung von zehn Prozent an – für die Kurier:innen der blanke Hohn. Viele von ihnen sind als Scheinselbstständige und ohne Sozial- und Unfallversicherung unterwegs. Ihren Sprit und Reparaturen müssen sie selber bezahlen – die massiv gestiegenen Benzinpreise machen das Ausliefern unrentabel. Damit sie trotzdem ein einigermassen existenzsicherndes Einkommen haben, riskieren die Rider:innen Kopf und Kragen, missachten Verkehrsregeln und schlängeln sich durch Autokolonnen, um mehr Lieferungen am Tag zu schaffen.

Am letzten Samstag gingen sie erneut auf die Strasse und forderten von Yemeksepeti endlich einen Nettolohn von 5500 Lira. «Dies ist ein Kampf für unsere Würde», schreibt die Gewerkschaft für Tourismus, Unterhaltung und Dienstleistung, die den Protest unterstützt. «Während der Pandemie waren die Rider Helden. Nun werden sie undankbar genannt, weil sie Gerechtigkeit verlangen.»

Mit Stickern und Werbetafeln wird zum Boykott von Yemeksepeti aufgerufen. Doch auch nach 33 Tagen will die Firma nicht einlenken und dürfte damit die Verzweiflung der Kurier:innen unterschätzen. Sie haben nichts mehr zu verlieren – das Ausliefern lohnt sich ohnehin kaum mehr.