Wichtig zu wissen: Aufgewacht

Nr. 10 –

Ruedi Widmer über die Bewunderer des Autoritarismus

Gott brauchte sieben Tage, um die Welt zu erschaffen, und Wladimir Putin brauchte einen Tag, sie zu seiner zu machen.

Alle sind jetzt abhängig von den Launen des Kreml, negativ oder positiv, die Ukrainerinnen, die Europäer, Industrie und Banken, die alte Neutralität, der einsame Gerhard Schröder, die Nato, die händereibende Waffenindustrie, die Medien.

Wenn ein Präsident vor aller Augen hemmungslos Menschen vergiften und töten lässt, selber unterzeichnete Verträge zerreisst und mit Atomwaffen droht, dann senkt sich eine Angst über die Welt, die alles lähmt, jede Gewissheit verpuffen lässt und auch eine grosse Wut entfacht.

Es ist hierzulande bei den meisten nicht eine Wut auf die Russ:innen, die ja grossmehrheitlich selber Opfer dieses Führers sind, sondern eine Wut auf Strukturen, die solche Gestalten immer wieder in höchste Ämter heben.

Es gibt auch bei uns die Sorte (vornehmlich) Männer, die innerlich mit Putin mitfiebern, deren für mich teilweise noch nachvollziehbare, wenn auch unterwürfige Einwände, man habe eben nicht auf Moskau gehört, in unverhohlene Bewunderung für ihn münden. Man spürt dies in gewissen Zeitungskommentaren und in den sozialen Medien. Auf Facebook wurde ich wegen einer Äusserung zur AKW-Problematik im Ukrainekrieg von einem ehemaligen Journalisten verbal übel belästigt, der offensichtlich die Fantasie des Diktators bewundert, es uns allen heimzuzahlen, weil wir keine Männer mehr seien, Minderheiten schützen und so fort. Sieg des Stärkeren – geil. Es macht mich traurig, wie solche Gedanken viele Gehirne zermartert haben. Ich bete für den Facebook-Mann, obwohl ich nicht religiös bin.

Es war ja nie ein Problem für jene rechtsbürgerlichen Schweizer, die nun den Westen und die Nato für den Krieg allein verantwortlich machen, Russlandgeschäfte abzuwickeln und russisches Geld in unserem Land zu horten. Aus der Sicht dieser Männer ist die Gesellschaft «woke». Zuerst dachte ich, das sei die Kurzform für «Wodka Cola». Ich musste nachschauen, was das heisst. Es ist ein Begriff der Black-Lives-Matter-Bewegung für das Bewusstsein von Minderheiten, der aber in seiner heutigen abschätzig-verdrehten Bedeutung aus den Labors der rechten Thinktanks entwichen ist. Ich meine hingegen, dass die Schweizer Gesellschaft halt einfach relativ normal ist und es nicht goutiert, wenn einer andere überfällt und umbringt.

Starke Männer und Frauen sind diejenigen, die demokratische Strukturen aufbauen und unterhalten für ein würdiges Leben aller. Die Ukrainerinnen und Russen, die trotz Lebensgefahr auf der Strasse für die Freiheit demonstrieren – für die Freiheit des Individuums und nicht für jene Putins, wie sie die «Freiheitstrychler» wünschen –, sind dann halt Weichlinge in den Augen der antiwoken Geschäftsherren. Auf jeden Fall sind die Weichlinge immer – zehnmal, tausendmal – christlicher als das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, und sie sind es, die bürgerlich-aufgeklärt sind, nicht die Libertären, die sich hierzulande oft «Bürgerliche» nennen und mit jedem Dahergelaufenen geschäften, sofern er Krawatte trägt (siehe dazu auch «Wichtig zu wissen» in der WOZ Nr. 31/2016 ).

Der Präsident hat es in 21 Jahren nicht geschafft, in Russland ein funktionierendes Staatswesen mit einer starken Wirtschaft und Gesellschaft aufzubauen. Es war natürlich auch keine Minute lang seine Idee, aber man muss sich das immer wieder vergegenwärtigen.

Wer seine Intelligenzija einsperrt und vor allem Gas anzubieten hat, ist letztlich ein Furz für die eigene Volkswirtschaft. Und wer diesen einatmet und abhängig davon wird, begeht einen grossen Fehler. Das hat der Westen getan. Das sagten die Schweizer Linke und die als naiv beschimpfte Klimabewegung schon lange.

Ruedi Widmer ist Cartoonist in Winterthur.